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Loveparade-Strafverfahren – Klage nicht zugelassen: Kommentar

Zu hohe Erwartungen: Individuelle Schuld
Einzelner nicht strafrechtrechtlich nachweisbar

Von Petra Grünendahl

Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender (m.) eingerahmt von den Pressesprechern Jan Behrman (l.) und Dr. Matthias Breidenstein. Foto: Petra Grünendahl.
Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender (m.) eingerahmt von den Pressesprechern Jan Behrman (l.) und Dr. Matthias Breidenstein. Foto: Petra Grünendahl.
Die 5. Große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat die Anklage im Loveparade-Strafverfahren nicht zugelassen. Zu wenig konnte nach Ansicht des Gerichts die Beweislage – insbesondere das Gutachten von Prof. Dr. Keith Still als Hauptbeweismittel – hinreichende Verdachtsmomente belegen, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zu einer Verurteilung geführt hätten. Die berechtigte Erwartung, dass die Ursachen für diese Katastrophe aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen würden, gab Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender in einer Erklärung zu, seien nicht erfüllt worden. Vielleicht waren diese Erwartungen vor allem der breiten Öffentlichkeit einfach zu hoch. Erst vor etwas über zwei Jahren hatte die Staatsanwaltschaft Klage erhoben. Gute zwei Jahre hatte die Strafkammer des Landgerichts gebraucht, um nach einem Zwischenverfahren und eigenen Nachfragen zu den eingereichten Beweisen zu einer Entscheidung zu kommen: Dem Nichteröffnungsbeschluss.

Ziel eines Strafrechtsprozesses muss sein, eine individuelle, strafrechtlich relevante Schuld des Angeklagten zweifelsfrei festzustellen. Handlungen des Angeklagten müssen ursächlich für den Tod und die Verletzung von Menschen sein. Grundlage für die Entscheidung der Nichtzulassung der Klage ist einzig die Klageschrift mit den vorgetragenen Sachverhalten und angebotenen Beweismitteln. Diese, so das Gericht, seien nicht geeignet, eine individuelle strafrechtliche Schuld von Beschuldigten festzustellen. Mit dem Zwischenverfahren habe das Landgericht, so der Landgerichtspräsident, noch versucht zu retten, was zu retten ist.

Planungs- und Genehmigungsverfahren

Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender (m.) eingerahmt von den Pressesprechern Jan Behrman (l.) und Dr. Matthias Breidenstein. Foto: Petra Grünendahl.
Landgerichtspräsident Ulf-Thomas Bender (m.) eingerahmt von den Pressesprechern Jan Behrman (l.) und Dr. Matthias Breidenstein. Foto: Petra Grünendahl.
Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat sich in ihrer Anklageschrift auf die Planung und Genehmigung als einziger Ursache für die Katastrophe beschränkt. Geschehnisse vor Ort – Versäumnisse, Fehlentscheidungen etc. – sind nicht als mögliche Ursachen weiter verfolgt worden. Zu Fehlern bei Planung und Genehmigung stützte sich die Staatsanwaltschaft auf ein einziges Gutachten (von Prof. Dr. Keith Still), welches nun vom Gericht als nicht verwertbar, angreifbar und nicht geeignet, zu Verurteilungen zu führen, abgelehnt wurde. Das Gutachten schließe andere Ursachen jenseits von Planung und Genehmigung aus, es beziehe nicht einmal Geschehnisse vor Ort mit ein, bemängelte das Gericht. Das Gutachten sei nur aus Sicht des Planers vorgenommen worden. Andere mögliche Unglücksursachen habe Still ausgeklammert, so das Gericht.

Ulf-Thomas Bender, Präsident des Landgerichts Duisburg. Foto: Petra Grünendahl.
Ulf-Thomas Bender, Präsident des Landgerichts Duisburg. Foto: Petra Grünendahl.
Ob sich die Staatsanwaltschaft einen Gefallen getan hätte, auch die Geschehnisse vor Ort in die Strafverfolgung aufzunehmen, sei mal dahin gestellt. Denn: Wenn allein die Planung und Genehmigung verantwortlich ist für die Katastrophe, dann kann man von den Entscheidungsbefugten vor Ort am Tag der Veranstaltung auch keinen anklagen. Fehlentscheidungen und Versäumnisse vor Ort sind aber auch nicht getrennt zu betrachten von einer Planung, die angesichts der örtlichen Gegebenheiten und der angenommenen Besucherströme nicht genehmigungsfähig war. Dass die von Stills postulierte „Vorhersehbarkeit“ mit dem deutschen Strafrecht nicht vereinbar ist, da dieses von einer Ursächlichkeit (Kausalität) ausgeht, sei das Problem. Nur bei einer nachgewiesenen Ursächlichkeit könnten aus Beschuldigten Angeklagte werden, so das Gericht.

Die Staatsanwaltschaft weist den Vorwurf, ihre Klage auf einem fehlerhaften Gutachten begründet zu haben, zurück: Das Landgericht habe das Zwischenverfahren überdehnt und hätte einen zweiten Gutachter hinzuziehen müssen. Eine solche Praxis sei im Zwischenverfahren gängige Praxis, so die Staatsanwaltschaft, die sofortige Beschwerde gegen den Beschluss beim Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf eingelegt hatte. Dr. Matthias Breidenstein, Pressesprecher des Landgerichts, wies in diesem Zusammenhang auf §202 der Strafprozessordnung (StPO) hin: „Bevor das Gericht über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheidet, kann es zur besseren Aufklärung der Sache einzelne Beweiserhebungen anordnen.“ Wie umfassend „einzelne Beweiserhebungen“ sein dürfen, wird hier wohl von Landgericht und Staatsanwaltschaft unterschiedlich interpretiert: Ein komplett neues Gutachten gehöre, so Landgerichtspräsident Bender, nicht dazu.

Verkettung unglücklicher Umstände

Inoffizielle Gedenkstätte an der Rampe zum Alten Güterbahnhof - Zugang zum Gelände, auf dem 2010 die Loveparade statt fand Foto: Petra Grünendahl,
Inoffizielle Gedenkstätte an der Rampe zum Alten Güterbahnhof – Zugang zum Gelände, auf dem 2010 die Loveparade statt fand
Foto: Petra Grünendahl,
Hier geht es nicht um Verantwortung, sondern um strafrechtlich relevantes Verhalten, das man Beschuldigten individuell im Ursachenzusammenhang nachweisen muss. Wenn dieser Nachweis nicht hinreichend durch die Anklagebehörde, die Staatsanwaltschaft, erbracht werden kann, darf ein Hauptsacheverfahren nicht eröffnet werden. Das stellte der Landgerichtspräsident ausdrücklich klar. Diesen Nachweis habe die Staatsanwaltschaft in Bezug auf die zehn mit Planung und Genehmigung befassten Mitarbeiter von städtischem Bauamt und Veranstalter Lopavent nicht schlüssig erbringen können. Andere Ursachen als die Planung habe die Staatsanwaltschaft komplett ausgeklammert.

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uebrigens!Keine Frage: Diese Veranstaltung hätte auf diesem Gelände niemals genehmigt werden dürfen! Das allein hatte aber letztendlich nicht die Katastrophe ausgelöst. Es hätte ja auch alles gut gehen können. Die Katastrophe begünstigt haben am Tag der Loveparade auch Fehlentscheidungen von Akteuren vor Ort, Fehleinschätzungen oder Versäumnisse. Die sind aber zum Beispiel von der Staatsanwaltschaft in ihrer Beweisführung völlig ausgeklammert worden. Vermutlich deswegen, weil sich daraus keine belastbaren Tatbestände für eine Anklage ergeben haben. Denn Fehlentscheidungen vor Ort wären immer nur in Verbindung mit dem Planungs- und Genehmigungsvorgang zusammen zu betrachten und nicht alleine ursächlich.

Die Frage nach der individuellen Schuld

Provisorische Gedenkstätte an der Rampe am Alten Güterbahnhof. Foto:Ö Petra Grünendahl
Provisorische Gedenkstätte an der Rampe am Alten Güterbahnhof. Foto:Ö Petra Grünendahl
Das ist schlimm für Angehörige der Toten und Opfer der Loveparade 2010! Aber Recht muss Recht bleiben: Wenn niemandem ursächlich eine strafrechtliche Verantwortung nachgewiesen werden kann, dass sein individuelles Verhalten konkret für die Katastrophe ausschlaggebend war, dann wird es auch keine Verurteilungen geben. Von einem Justizskandal zu sprechen, ist da nicht angebracht. Ein Skandal wäre es gewesen, wenn Menschen aufgrund der vorliegenden Beweislage angeklagt und wohlmöglich auch verurteilt worden wären. Wie sie ist, ist sie nicht hinreichend. Ob sie schlüssiger hätte werden können mit Hilfe eines zweiten Gutachtens, kann man bezweifeln.

Wenn man sich klar macht, welch hohe Anforderungen an eine Verurteilung gestellt werden, nämlich die Feststellung der ursächlichen individuellen Verantwortung der einzelnen Beschuldigten, dem musste schon länger klar sein, dass es zu keiner Verurteilung kommen würde. Andere Prozesse zu Großkatastrophen (siehe Flughafenbrand in Düsseldorf) haben genau dies schon früher deutlich gemacht. Wenn jetzt Medien schreiben „völlig unerwartet“, dann zeigt es nur, wie wenig sie sich mit der Materie befasst haben. Auch „Unverständnis“ ist nicht angebracht. Das ist verlogen! Will man schon wieder den Opfern nach dem Mund reden? Das ist tragisch für Angehörige und Betroffene, aber viel zu lange haben auch die Medien die Augen verschlossen vor den Fakten und diesen Menschen Hoffnungen gemacht, die nun enttäuscht worden sind.

© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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3 Kommentare "Loveparade-Strafverfahren – Klage nicht zugelassen: Kommentar"

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