Gastredner Prof. Julian Nida-Rümelin:
Wir müssen verteidigen, was unsere Wirtschaft stark macht
Von Petra Grünendahl
“Die Bildungsideologie, die die OECD* seit Jahren in die Welt setzt, ist ein Akademisierungswahn, der nicht berücksichtigt, dass die akademischen Systeme in Deutschland und beispielsweise den USA oder Großbritannien nicht vergleichbar sind“, warnte Gastredner Prof. Dr. Dr. h.c. Julian Nida-Rümelin, Philosophieprofessor aus München und Kulturstaatsminister a. D. (2001-2002). Er hob eine ganz andere Messlatte für den Erfolg einer Wirtschaft hervor: die Jugendarbeitslosigkeit, die in Ländern mit einer dualen Berufsausbildung – neben Deutschland sind dies Österreich und die Schweiz – konkurrenzlos niedrig ist. Eine solche Form der Berufsausbildung gibt es nirgends sonst und sie ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Facharbeiter und Fachangestellte bilden in Deutschland einen Mittelstand, den es sonst nirgends so gibt: Zum Mittelstand gehören in anderen Ländern Akademiker. Wer nicht studiert hat, ist Unterschicht.
Warnende Worte waren dies – zum einen natürlich auch an die anwesenden Vertreter der Wirtschaft gerichtet, ihre Anstrengungen in der Ausbildung junger Menschen nicht zu vernachlässigen. Zum anderen galten sie aber auch der Bundespolitik, die – siehe Bologna-Reform – schon einmal Ideale deutscher Bildung zugunsten Gleichschaltung von Systemen geopfert hatte. Ein gutes Händchen bei der Auswahl ihres Gastredners hatte wieder einmal die Niederrheinische IHK um Präsident Burkhard Landers und Hauptgeschäftsführer Dr. Stefan Dietzfelbinger zu ihrem traditionellen Neujahrsempfang im Theater am Marientor (TaM) bewiesen, denn er las gerade der Bundespolitik da die Leviten, wo sie Interessen der Wirtschaft einen Bärendienst erweist.
Duale Ausbildung ist Schlüssel zum wirtschaftlichen Erfolg
Der arg verschulte „Bachelor“ an deutschen Universitäten verträgt sich kaum mit dem deutschen Bildungsideal von akademischer Forschung und Lehre, von der Freiheit einer humanen (und humanistischen) Bildung. Länder mit höherer Akademikerquote haben nicht das Humboldtsche Bildungsideal. Wenn in Amerika ein High-School-Absolvent ein zweijähriges Community-College mit einem Bachelor abschließt, entspricht das hier einem Abitur. In Amerika hingegen gilt er als Akademiker. Eine berufliche Ausbildung wie in Deutschland gibt es überhaupt nicht. Eine abgeschlossene Berufsausbildung ebnet in Deutschland vielen Menschen den Weg in den Mittelstand. In den USA oder Großbritannien ist der Abschluss eines Studiums die Voraussetzung für den Einstieg in die Mittelschicht, während andere – Angelernte und Ungelernte – zur Unterschicht zählen.
Dagegen hat Deutschland nicht nur ein hervorragendes System dualer Berufsausbildungen mit ca. 300 Ausbildungsberufen, sondern auch Weiterbildungen zum Beispiel zum Techniker oder Meister. Auch hier kritisierte Nida-Rümelin zu Recht, dass die Bundespolitik auf EU-Geheiß die Meisterpflicht in vielen Handwerksberufen dem von der EU propagierten „ungehinderten Zugang zum Arbeitsmarkt“ geopfert hatte. Nicht nur sind hier, wie der Philosophieprofessor ausführte, nicht mehr Arbeitsplätze entstanden, ganz im Gegenteil: Ein-Mann-Betriebe machten dem etablierten Handwerk überwiegend über den Preis, aber mit unzureichenden Fachkenntnissen das Leben schwer, was so manchen zur Aufgabe zwang. Dazuu kommt – und dies lies der Theoretiker unerwähnt: Ohne Meisterbrief gibt es auch keine Ausbildung im Handwerk, denn diese Qualifikation ist dafür nach wie vor und zu Recht zwingend vorgeschrieben. Wenn dann die Zahlen der Ausbildungsverträge sinken: Auch hier ist ein Grund dafür zu suchen.
Fachkräfte sind überwiegend Facharbeiter
Wenn die deutsche Wirtschaft von „Fachkräftemangel“ spricht, sind natürlich in manchen Bereichen auch Akademiker gemeint, aber überwiegend sind es Facharbeiter und Fachangestellte, Menschen, die in der Praxis ausgebildet wurden. Gerade sie gehen in vielen Branchen in höheren Zahlen in Rente als Nachwuchs da ist zum Ausbilden. Die Schulabsolventen mit Hochschulzugangsberechtigung drängt es zunehmend an die ohnehin schon überfüllten Universitäten. Zu wenig wird ihnen (und ihren Eltern) klar gemacht, dass gut verdienende Facharbeiter durchaus deutlich mehr verdienen als Universitätsabsolventen. Solche Facharbeiter sind vor allem dort gefragt, wo das Herz der deutschen Wirtschaft schlägt: im Mittelstand. Auch dies ist eine deutsche Eigenart, die die Stärke der deutschen Wirtschaft ausmacht: Eine mittelständische Industrie, bei dem es einige Unternehmen in ihren Branchen durch ihre Innovationskraft zu Weltmarktführern gebracht haben. Der Mittelstand, nicht die Großindustrie ist der Jobmotor der deutschen Wirtschaft. Die französische und britische Wirtschaft kennzeichnet vor allem eins: Deindustrialisierung, eine weitgehende Verlagerung der Erwerbstätigkeit in den Bereich Dienstleistungen. Die Industrienation Deutschland mit ihrer konsensorientierten Mitbestimmung ließ andere Nationen weltweit in der letzten großen Wirtschaftskrise 2008/2009 mit seiner Krisenbewältigung sehr alt aussehen.
Warnung vor „Reformitis“ und „Helikopterpolitik“:
Stärken der deutschen Wirtschaft verteidigen
Diesen Standortvorteil darf die Politik nicht verspielen. Die „Reformitis“ in Sachen Bildung, Ausbildung und Akademisierung mache ihm Sorgen, sagte Nida-Rümelin. Eine humane Bildung wäre das nicht, denn die würde Fähigkeiten und Fertigkeiten des Einzelnen fördern, was passgenau zu den Anforderungen der mittelständisch geprägten deutschen Wirtschaft sei. Die niedrige Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland sei der Beleg dafür! Ebenso wenig darf die Politik, um den Bogen zur Begrüßungs-Rede von IHK-Präsident Landers zu schlagen, mit (im Vergleich zu anderen Ländern) übertriebenen Umweltauflagen die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Vergleich schwächen. Landers forderte zur Abkehr von einer „Helikopterpolitik“ auf: „Wir brauchen eine Politik, der wir vertrauen können.“ Verlässlichkeit, Gewissenhaftigkeit und Nachhaltigkeit nannte der Weseler Unternehmer als Richtschnur: „Die Wirtschaft braucht Berechenbarkeit und tragfähige Lösungen, die auch zur Sicherung unserer Wettbewerbsfähigkeit beitragen“, so Landers.
*) OECD = Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Prof. Julian Nida-Rümelin belegte seinen Vortrag zum Akademisierungswahn mit Zahlen. Hier eine Auswahl:
© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
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