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Integrationsrat in Duisburg hebt Beschluss zur Armenien-Resolution auf: Ein Kommentar

Es geht nicht um Schuld!
Es geht um die Verantwortung, dass so etwas nie wieder passiert!

Von Petra Grünendahl

Foto: Jürgen Rohn.
Foto: Jürgen Rohn.
Der Beschluss des Integrationsrates vom 7. Juni, den in einer Bundestagsresolution anerkannten Völkermord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg als Lüge zu bezeichnen, hatte hohe Wellen geschlagen: Inhaltlich – „Integrationsrat leugnet Völkermord“ –, aber auch formell, denn einen solchen Beschluss hätte das kommunale Gremium gar nicht fassen dürfen. Nachdem Oberbürgermeister Sören Link den Beschluss beanstandet hatte, hoben die Mitglieder des Integrationsrates ihn in einer Sondersitzung am 20. Juni mit 13 zu 9 Stimmen (bei zwei Enthaltungen) auf.

Vor und nach der Sitzung protestierten nationalistisch eingestellte Duisburger türkischer Abstammung lautstark gegen die Aufhebung des Beschlusses. Proteste während der Sitzung konnte Integrationsratsvorsitzender Erkan Üstünay nur mit Mühe unterbinden. Eine sachliche Diskussion kam nicht zustande: Zu verhärtet waren die Positionen einzelner Integrationsratsmitglieder.

Integrationsrat gespalten

Foto: Jürgen Rohn.
Foto: Jürgen Rohn.
Eine Diskussion über die Geschehnisse von 1915/1916, die von vielen Historikern als Völkermord eingestuft werden – eine Einschätzung, der sich vor dem deutschen Bundestag bereits viele Länder und internationale Organisationen und Institutionen angeschlossen hatten – ist dringend nötig. In der Türkei wird sie angesichts aktueller Machtverhältnisse nicht stattfinden. Was in der Sondersitzung des Integrationsrates klar wurde: Auch hier wollen „türkische Nationalisten“ eine Diskussion verhindern, indem sie eine von Generation zu Generation weitergereichte Sicht der Dinge präsentieren, „alles Lüge“ und „Verleumdung“ gebetsmühlenartig wiederholen und dabei auf gefälschte Dokumente zum Armenier-Massaker verweisen.

Foto: Jürgen Rohn.
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Es gibt gefälschte Dokumente, ja. Aber es gibt noch mehr echte historische Quellen, die die Geschehnisse dokumentieren. Auf diese stützen sich ernst zu nehmende Historiker mit ihrer Einschätzung. Wobei man sich natürlich immer die Frage stellen muss: Woher kommen die Fälschungen und was wollten die Fälscher damit erreichen? – In diesem Fall vielleicht eine Diskreditierung von echten Quellendokumenten, die damit ebenfalls in Zweifel gezogen werden?

Eine Diskussion ist nötig
uebrigens!Deutlich wurde im Integrationsrat leider vor allem eines: Es gibt immer noch Menschen türkischer Herkunft, die sich vehement weigern, über die Geschehnisse 1915 im Osmanischen Reich überhaupt zu reden. Gebetsmühlenartig wiederholen sie ihre Sicht der Dinge: Ihre Sicht der Dinge, die sie mit der Muttermilch aufgesogen haben, weil sie über Generationen so weitergereicht worden waren, ohne jemals hinterfragt zu werden. Wer die Überlieferungen in Frage stellt, wird als Verleumder oder schlimmer noch als Verräter gebrandmarkt.

Foto: Jürgen Rohn.
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Dass es auch anders geht, zeigt eine türkischstämmige Duisburgerin: „Bis zum Jahr 2013 hatte ich keine Ahnung vom Leid der Armenier. […] sah ich diese wunderschöne Kirche und war wie verzaubert. Wer hatte sie erbauen lassen und wo waren diese Menschen geblieben? Denn heute leben [hier] fast keine Armenier mehr. So fragte ich meine Mutter. Sie erzählte mir über den ‚feigen Verrat der Armenier am Osmanischen Reich’, und ich glaubte ihr zunächst. Nach meinem Urlaub wollte ich mehr wissen und las und las …“ Die Sicht der Anderen interessiert aber türkisch-nationalistische Kräfte nicht, die auf ihrer Leugnung des Völkermordes beharren. Als ob ihnen persönlich jemand die Schuld für irgend etwas geben wollte …

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Foto: Jürgen Rohn.
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So wird leider eine dringend nötige Diskussion nicht zustande kommen, wenn eine Seite blockt und „alles Lüge“ schreit. Ohne eine Diskussion und Aufarbeitung der Geschehnisse bleibt die Gesellschaft gespalten, auch innerhalb der türkisch-stämmigen Gemeinschaft in Deutschland und in Duisburg. Nicht alle blocken, wenn seit Generationen Überliefertes in Zweifel gezogen wird. Vielmehr informieren sie sich, um eine eigene Meinung zu bilden – so wie es in einer Demokratie sein sollte. Es geht nicht um eine Verurteilung von „Tätern“, sondern um die Aufarbeitung, dass dort vielen Menschen viel Leid zugefügt wurde – und vielleicht um die Erkenntnis, dass so etwas unnötig ist und nicht wieder passieren sollte. Manch einer sollte dafür sein beschränktes Weltbild öffnen.

Es geht hier nicht um Schuld! Es geht um die Verantwortung aller, dass so etwas nie wieder passiert! Nirgends auf der Welt!

© 2016 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Jürgen Rohn

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