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Antikriegstag 2016: DGB Niederrhein gedenkt der Opfer des Faschismus

“Erinnern für die Zukunft“ – DBG-Jugend im Gespräch mit Nachfahren von Widerständlern
Von Petra Grünendahl

Jutta Esser aus Moers, Enkelin des Widerständlers und Moorsoldatenlied-Dichters Johann Esser. Foto: Petra Grünendahl.
Jutta Esser aus Moers, Enkelin des Widerständlers und Moorsoldatenlied-Dichters Johann Esser. Foto: Petra Grünendahl.
„Vier Jahre war ich alt, als mein Großvater starb. Mit 13 fing ich so langsam an zu begreifen, dass er etwas Besonderes war“, erzählte Jutta Esser. Spürbar emotional bewegt erzählt sie von ihrem Großvater, den sie selber fast nur aus Erzählungen kannte: Johann Esser (1896 – 1971) war unter anderem Bergmann gewesen in der Zeche Diergardt in Rheinhausen. Ein Arbeiterführer, Kommunist und Dichter. Wie so viele Andersdenkende war er kurz nach dem Reichstagsbrand in „Schutzhaft“ genommen und als politischer Häftling ins KZ Börgermoor ins Emsland gebracht worden. Die Häftlinge in den Emslandlagern (insgesamt 15 Lager) – zunächst politische Häftlinge, später Sträflinge und Kriegsgefangene – legten dort die Moore trocken. „Einen Unterhaltungsnachmittag stellten die Häftlinge mit dem Titel ‚Zirkus Konzentrazani‘ auf die Beine“, erzählte Jutta Esser. Ihr Großvater habe dafür ein Lied getextet, das von seinem Haftkollegen Rudolf Goguel (1908 – 1976) vertont worden war: Das „Lied der Moorsoldaten“. „Es ist immer wieder und wird bis heute von Unterdrückten und bei Protestaktionen gesungen – in der ganzen Welt“, erzählte die Dichter-Enkelin, die in Moers wohnt und dort an einem Berufskolleg unterrichtet.

Antikriegstag 2016 (v. l.): Kristina Risch, Alice Czyborra, Michelle Mauritz und Angelika Wagner (Geschäftführerin DGB Niederrhein). Jutta Esser kam verkehrsbedingt erst zum Beginn der Veranstaltung an. Foto: Petra Grünendahl.
Antikriegstag 2016 (v. l.): Kristina Risch, Alice Czyborra, Michelle Mauritz und Angelika Wagner (Geschäftführerin DGB Niederrhein). Jutta Esser kam verkehrsbedingt erst zum Beginn der Veranstaltung an. Foto: Petra Grünendahl.
Traditionell lädt der DGB Niederrhein am 1. September, dem Jahrestag des Kriegsbeginns 1939, in den großen Sitzungssaal (Saal 100) ins Rathaus am Burgplatz ein zu einer Gedenkveranstaltung unter dem Motto „Nie wieder Krieg! Nie wieder Faschismus!“ Immer wieder gelingt es den Verantwortlichen des Regionalverbandes des DGB und der hier besonders engagierten DGB-Jugend, interessante Gäste für Beiträge zum Thema „Widerstand gegen Faschismus“ zu gewinnen. In diesem Jahr standen „Kinder des Widerstand“ im Fokus: eine Tochter und eine Enkelin von Menschen, die Widerstand gegen die Nazi-Diktatur geleistet hatten. Die Zeitzeugen sterben langsam aus, aber es gibt folgende Generationen, die sehr anschaulich aus ihrer Familiengeschichte berichten können. Neben Jutta Esser war dies Alice Czyborra, geb. Gingold Die DGB-Jugend hatte dieses Gespräch vorbereitet, Michelle Mauritz und Kristina Risch moderierten.

Jugend im Gespräch mit den Nachfahren von Widerständlern

Alice Czyborra, geb. Gingold, erzählte von ihren Eltern, die sich der französchen Résistance angeschlossen hatten. Foto: Petra Grünendahl.
Alice Czyborra, geb. Gingold, erzählte von ihren Eltern, die sich der französchen Résistance angeschlossen hatten. Foto: Petra Grünendahl.
„Mein Vater ist 17-jährig schon im Sommer 1933 mit seinen Eltern und Geschwistern von Frankfurt nach Paris emigriert“, erzählte Alice Czyborra. Schon vor 1933 habe sich ihr Vater Peter Gingold in der Gewerkschaftsjugend und im kommunistischen Jugendverband gegen den aufkommenden Faschismus engagiert. Ihre Mutter Etti, ebenfalls Jüdin, aus einer deutschstämmigen Familie aus Rumänien stammend, lernte ihren späteren Mann in Paris in einer Jugendgruppe deutscher Emigranten kennen. „Als ich 1940 geboren wurde, stand die Wehrmacht vor den Toren von Paris“, führte Czyborra fort. Ihr Vater sei zu dieser Zeit in einem Internierungslager gewesen. Nach seiner Rückkehr hätten sich ihre Eltern zusammen mit anderen deutschsprachigen Emigranten der Résistance angeschlossen: „Ihre Gruppe ‚Travail allemand‘ (deutsche Arbeit) wurde mit besonderen Aufgaben betraut.“ 1942 begannen auch in Frankreich die Deportationen von Juden, so dass die Familie in den Untergrund ging und sich versteckte. Durch Verrat sei ihr Vater dennoch in die Hände der Gestapo geraten und gefoltert worden. Er konnte fliehen und ging nach der Befreiung mit seiner Familie nach Frankfurt zurück, um ein antifaschistisches demokratisches Deutschland aufzubauen, erzählte Czyborra, die einen Bergmann aus Essen geheiratet hatte und dort seitdem wohnt.

Podium (.v.l.): Kristina Risch, Jutta Esser, Alice Czyborra und Michelle Mauritz. Foto: Petra Grünendahl.
Podium (.v.l.): Kristina Risch, Jutta Esser, Alice Czyborra und Michelle Mauritz. Foto: Petra Grünendahl.
In den letzten Jahrzehnten ihres Lebens seien ihre Eltern gefragte Zeitzeugen gewesen: „Besonders mein Vater, der ein guter Redner war, konnte Jugendliche fesseln mit seinen Berichte über den Widerstand.“ In Lesungen und Gesprächen bezieht sich Czyborra auf die Erinnerungen ihres Vaters, die unter dem Titel „Paris – Boulevard St. Martin No. 11“ veröffentlicht sind. Zu den politischen Häftlingen in den Emslandlagern gibt es unter anderem das schon 1935 in Zürich erschienene Buch „Moorsoldaten – 13 Monate Konzentrationslager“, in dem der zusammen mit Esser und Goguel inhaftierte Düsseldorfer Schauspieler, Regisseur und spätere Intendant des Deutschen Theaters in Ostberlin, Wolfgang Langhoff (1901 – 1966), seine Erlebnisse und Erinnerungen verarbeitete.

Kränze am Mahnmal stellvertretend für alle Opfer

Gedenken an dem Mahnmal für die ermorderten Gewerkschafter an der Ruhrorter Straße (v.l.): Angelika Wagner, Michelle Mauritz, Kristina Risch, Alice Czyborra und Jutta Esser. Foto: Petra Grünendahl.
Gedenken an dem Mahnmal für die ermorderten Gewerkschafter an der Ruhrorter Straße (v.l.): Angelika Wagner, Michelle Mauritz, Kristina Risch, Alice Czyborra und Jutta Esser. Foto: Petra Grünendahl.
Ebenfalls Tradition hat bei dieser Veranstaltung die musikalische Begleitung durch den Stattchor Duisburg, der die Veranstaltung mit Liedern vom Widerstand bereicherte. Nach einem Gedenkspaziergang endete die Veranstaltung mit der Kranzniederlegung am Mahnmal für die ermordeten Gewerkschafter, an den Stühlen vor dem Haus Ruhrorter Straße 11 in Kaßlerfeld, wo stellvertretend aller Opfer des Faschismus gedacht wurde.

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Informationen über Johann Esser und Peter Gingold gibt es auch in der Dauerausstellung der VVN / BdA über „Widerstand gegen den Faschismus in Duisburg“ an der Grundschule Wrangelstraße in Kaßlerfeld. Mehr dazu …

Das Lied der Moorsoldaten …
https://www.youtube.com/watch?v=Yv3zgTFHBiE

© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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