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Achtes „Fest de Jüdischen Buches“ im Rahmen der Jüdischen Kulturtage

Juden in Deutschland: “Es gab nichts deutscheres!“
Von Petra Grünendahl

Privatdozent Dr. Ludger Joseph Heid liest in der Synagoge aus "Davidstern und Eisernes Kreuz". Foto: Petra Grünendahl.
Privatdozent Dr. Ludger Joseph Heid liest in der Synagoge aus „Davidstern und Eisernes Kreuz“. Foto: Petra Grünendahl.
„1.500 jüdische Soldaten bekamen im ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz Erster Klasse“, zitierte Privatdozent Dr. Ludger Joseph Heid aus seinem Buch „Davidstern und Eisernes Kreuz“. Seit den Befreiungskriegen 1813 hätten Juden freiwillig für ihr deutsches Vaterland zu den Waffen gegriffen. Wirklich gedankt hat es ihnen weder Preußen noch das Deutsche Reich oder die Weimarer Republik, auch wenn viele Soldaten sogar bis ins Jahr 1934 noch mit dem Eisernen Kreuz ausgezeichnet worden waren. Die letzten dieser Urkunden hatte noch Adolf Hitler als Reichskanzler unterzeichnet, bevor er seinen Feldzug nicht nur gegen die deutschen Juden, sondern nach und nach gegen Juden in ganz Europa begann. „Adolf Hitler, der sein Eisernes Kreuz, welches er ständig an der Uniform trug, seinem jüdischen Vorgesetzten zu verdanken hatte“, gab Heid zu denken. Mit dem Dienst als Soldaten hofften die Juden, eine Gleichstellung zu erreichen. Vergeblich: Eine Offizierslaufbahn durften in Deutschland (im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern) nur solche einschlagen, die sich taufen ließen, wie Ludger Heid in seinem informativen Vortrag sehr gut vermittelte. Trotz aller Opfer ernteten Juden nur Antisemitismus und Spott vom Allergemeinsten: Menschen, von denen der Historiker Golo Mann, Sohn des Schriftstellers Thomas Mann, sagte: „Es gab nichts deutscheres!“

Jüdisches Leben in Deutschland im Spiegel von Autobiographien, historischen Vorträgen oder von Literatur und Kunst präsentierte das achte „Fest des Jüdischen Buches“, welches erstmals im Rahmen der Jüdischen Kulturtage statt fand. Breit war die Palette der angebotenen Lesungen und Workshops. Gut angenommen wurde das Programm für Kinder, bei dem diese auch selbst kreativ mitmachen konnten: Entsprechend viele Jüngere konnte man in der Mittagspause durch Foyer huschen sehen.

Während das Kinderprogramm eingleisig lief, hatten die Erwachsenen bis zu drei Veranstaltungen parallel, unter denen sich entscheiden mussten. Spannende Themen und Referenten boten da schon mal die Qual der Wahl. Gemeinsam waren ihnen Einblicke in jüdischen Leben, wie man es sonst in dieser Dichte nicht präsentiert bekommt. Die Autoren kamen auch gerne mit einem interessierten Publikum ins Gespräch, das noch Antworten suchten. Der Austausch erzeugte gerade bei autobiographischen Lesungen Nähe und stellte bei den Zuhörern Bezüge zum eigenen Leben her, wo jüdisch immer auch deutsch ist.

Neue Synagoge war offen und hatte einen Garten

Prof. Daniel Hoffmann las aus "Heimat, bist du wieder mein". Oben ein Bild der aötem Synagoge in Düsseldorf an der Kaernenstraße. Foto: Petra Grünendahl.
Prof. Daniel Hoffmann las aus „Heimat, bist du wieder mein“. Oben ein Bild der aötem Synagoge in Düsseldorf an der Kaernenstraße. Foto: Petra Grünendahl.
Die neue Düsseldorfer Synagoge, 1958 eingeweiht, habe er wohl als Dreieinhalbjähriger 1962 das erste Mal vom Balkon des angrenzenden Hauses erblickt, erzählte Prof. Daniel Hoffmann, Literaturwissenschaftler der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Sein Vater sei damals Verwaltungsdirektor der Jüdischen Gemeinde Düsseldorf geworden. Von einem Garten um die Synagoge herum erzählte Hoffmann. Von einem offenen Platz, einem Zaun, der eher Grundstücksmarkierung als Abschottung war. Hoffmann unterlegte seinen Vortrag mit Bildern, deren Bedeutung er im Kontext der Lesung auf sein eigenes jüdisches Leben zog. „Heimat, bist du wieder mein“ heißt das Werk, welches das Leben seines Vaters (1921-2008) nachzeichnet, der Auschwitz überlebt hatte: Der Sohn, der mit Auschwitz und der Shoa groß geworden war, erlebte später selber mit, wie die Offenheit der Synagogen zu eigenem Schutz hohen Zäunen weichen musste, als Ende der 1970-er Jahre die politische Lage der Welt neue Sicherheitsvorkehrungen auch in Deutschland erforderte. Seit dem Brandanschlag auf die jüdische Synagoge in Düsseldorf im Jahr 2000 erhöhte der Staatsschutz die Sicherheitsanforderungen für Jüdische Einrichtungen noch einmal: Seitdem stehen Polizeiwagen rund um die Uhr in der Nachbarschaft.

“Georg, du bist noch immer mein Freund“

Walter Kaufmann mit "Schade, dass du Jude bist" in der Synagoge. Foto: Petra Grünendahl.
Walter Kaufmann mit „Schade, dass du Jude bist“ in der Synagoge. Foto: Petra Grünendahl.
„Ich bin ein Sohn dieser Stadt“, leitete Walter Kaufmann seine Lesung ein aus „Schade, dass du Jude bist“. Georg, sein Freund aus Jugendtagen, hatte dies einmal zu ihm gesagt. Seine Erzählungen handeln von Georg, aus christlicher Familie, die dem Nationalsozialismus aber nichts abgewann, und von Ruth, einer Freundin, die mit ihrer Schwester nach Amerika hätte in Sicherheit gebracht sollen, die aber wegen ihrer Lungenkrankheit kein Visum bekam. Er hat sie nie wieder gesehen. Auch nach Georg habe er nach dem Krieg gesucht. Mehr als ein „verschüttet in Warschau“ sei nicht in Erfahrung zu bringen gewesen.

Walter Kaufmann mit "Schade, dass du Jude bist" in der Synagoge. Foto: Petra Grünendahl.
Walter Kaufmann mit „Schade, dass du Jude bist“ in der Synagoge. Foto: Petra Grünendahl.
„Das Leben hat es gut mit mir gemeint“, so Kaufmann, dem man seine 92 Jahre nicht ansieht. Nicht er sei Opfer gewesen, aber seine Eltern (vielmehr: Adoptiveltern): Rechtsanwalt Dr. Sally Kaufmann war Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Duisburg. Wie er nach dem November-Pogrom 1938 („Tag der Vandalen“ nennt ihn Kaufmann) die verwüstete elterliche Villa vorgefunden hatte erzählte der 92-Jährige. Die Eltern schickten daraufhin den 15-jährigen Walter 1939 über England nach Australien. 1942 deportierte man die Eheleute Kaufmann nach Theresienstadt, 1944 dann nach Auschwitz, wo sie ermordet wurden. Erst 1956 kehrte Kaufmann nach Deutschland zurück, auch nach Duisburg: Die Leute, die nach den Kaufmanns das Haus für kleines Geld gekauft hatten, hätten ihn nie wieder hinein gelassen – bis heute nicht: „Alles wirkte 1956 so unwirklich, als sie mich nicht hinein ließen.“ Seit 2002 liegen an der Prinz-Albrecht-Straße 17 Stolpersteine für Sally und Johanna Kaufmann als bleibende Mahnung.

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Kulturtage noch mit Programm bis zum 27. September

Die Synagoge im Jüdischen Gemeindezentrum. Foto: Petra Grünendahl.
Die Synagoge im Jüdischen Gemeindezentrum. Foto: Petra Grünendahl.
Wer Walter Kaufmann („Schade, dass du Jude bist“) erleben möchte, hat Montag und Dienstag noch einmal Gelegenheit dazu: In den Volkshochschulen in Mülheim und Oberhausen. Auch Prof. Daniel Hoffmann („Heimat, bist du wieder mein“) sowie Dr. Ludger Joseph Heid mit historischen Vorträgen („Mehr Intelligenz als körperliche Kraft“) oder mit seiner Frau Karin Sommer-Heid (Else Lasker-Schüler) sind noch einmal in der VHS in Mülheim bzw. Oberhausen zu Gast. Details siehe Komplettprogramm der Jüdischen Kulturtage.

Neben der Ausstellung des Kreativquartiers Ruhrort (Francine Mayran im Gemeindehaus Ruhrort, bis 3. Oktober) stehen noch weitere interessante Veranstaltungen auf dem Programm: Vier „jüdische“ Filmabende im Filmforum sowie ein Konzert (Die Goldenen Zwanziger: Von der Kunst auf dem Vulkan zu singen) bzw. ein Jiddisch-russischer Nachmittag (für Leute, die der beiden Sprachen mächtig sind) im Jüdischen Gemeindezentrum.

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WICHTIG!
Für Veranstaltungen im Jüdischen Gemeindezentrum am Springwall 16 ist es aus Sicherheitsgründen für den Einlass unbedingt nötig, seinen Personalausweis bereit zu halten.

© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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