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Studienfahrt des DGB Niederrhein zur KZ-Gedenkstätte Esterwegen im Emsland

Verfolgung Andersdenkender und
Gewalt unter der NS-Herrschaft

Von Petra Grünendahl

Fietje Ausländer bei der Führung über das ehemalige Lagergelände. Foto: Petra Grünendahl.
Fietje Ausländer bei der Führung über das ehemalige Lagergelände. Foto: Petra Grünendahl.
„Mit ihrer Errichtung im Frühjahr 1933 stellte man diese Konzentrationslager als wirtschaftliches Förderprojekt für die Region dar“, erklärte Fietje Ausländer, Mitarbeiter der Gedenkstätte Esterwegen. Das Emsland sei eine arme Region gewesen, in der die Menschen größtenteils nicht einmal fließend Wasser hatten, erzählte er. Die Bewohner des Umlandes profitierten davon, dass die Versorgung von Wachen und Gefangenen über örtliche Händler lief, wie Dokumente in der Ausstellung belegen. Die Einheimischen durften im Schwimmbad des KZ schwimmen und vom 10-Meter-Turm mit Aussicht über das Lager ins Becken springen. Auch die Arbeiterkolonnen aus dem Lager zur Schwerstarbeit im Moor dürfte den Emsländern nicht verborgen geblieben sein. Zwölf Jahre profitierten die Menschen von den Lagern, aber hinterher wollte keiner gewusst haben, was in ihnen vor sich ging.

Gedenkstätte Esterwegen. Foto: Petra Grünendahl.
Gedenkstätte Esterwegen. Foto: Petra Grünendahl.
Der DGB Niederrhein hatte zu einer Studienfahrt nach Esterwegen in der Nähe von Papenburg eingeladen, wo eine Gedenkstätte an die Opfer der Nationalsozialisten in den emsländischen Konzentrationslagern erinnert. Der DGB in Duisburg hatte die Fahrt zusammen mit der VVN-BdA (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten) Kreisvereinigung Duisburg organisiert. Mit dem Bus ging es die 220 Kilometer nach Esterwegen. Unterwegs stimmte Christa Bröcher von der VVN auf das Thema an. Ihr Großvater war 1933/1934 in Börgermoor in „Schutzhaft“ gewesen: Dem ersten von später 15 Lagern, in denen Häftlinge unter unmenschlichen Bedingungen bis zur Befreiung von der nationalsozialistischen Herrschaft 1945 die Moore kultivierten und trocken legten.

Die Konzentrationslager im Emsland

Die Lage der Emslandlager nahe der holländischen Grenze. Foto: Petra Grünendahl.
Die Lage der Emslandlager nahe der holländischen Grenze. Foto: Petra Grünendahl.
Als die Nationalsozialisten nach dem Reichstagsbrand mit Hilfe der „Verordnung zum Schutze von Volk und Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) erstmals in großem Stil politische Gegner, die antifaschistisch tätig waren, verhafteten und ohne Gerichtsverhandlung einfach wegsperrten („Schutzhaft“), traten auch Menschen aus Duisburg und Umgebung den Weg in die ersten der Lager – Börgermoor und Esterwegen – an: Johann Esser zum Beispiel, ein Bergmann aus Rheinhausen, der hier im August 1933 „Das Lied der Moorsoldaten“ schrieb, mit dem er den politischen Gefangenen und Widerständlern ein bleibendes Zeichen setzte. Das Lied gibt es mittlerweile in vielen Sprachen und es wird in aller Welt gesungen von Menschen, die sich gegen Unterdrückung und Willkürherrschaft wehren.

Das Lager in Esterwegen (Luftbild). Foto: Petra Grünendahl.
Das Lager in Esterwegen (Luftbild). Foto: Petra Grünendahl.
Nachdem die Nationalsozialisten zunächst Konzentrationslager durch Umnutzung bestehender Gebäude errichtet hatte, beschloss man im März 1933 den Bau der ersten „neuen“ Konzentrationslager im Emsland. Das erste Lager, Börgermoor, war am 21. Juni 1933 bezugsfertig. Vierzehn weitere Lager folgten in der Moorlandschaft an der niedersächsischen Grenze nach Holland. Zu den berühmtesten Insassen zählte zwischen 1934 und 1936 auch Carl von Ossietzky, Friedensnobelpreisträger 1935. Esterwegen war zeitweilig nach Dachau das größte deutsche KZ.

Politische Gegner: Erst Schutzhäftlinge, dann Verurteilte –
und schließlich Kriegsgefangene

Konzentrations- und Strafgefangenenlager in Deutschland 1933 - 1935. Foto: Petra Grünendahl.
Konzentrations- und Strafgefangenenlager in Deutschland 1933 – 1935. Foto: Petra Grünendahl.
Mit ihrer Eröffnung standen die Emslandlager unter dem Kommando der SS. Sie waren von 1933 bis 1936 gedacht für so genannte Schutzhäftlinge als Konzentrationslager. Ende 1936 wurden die Häftlinge aus Esterwegen nach Oranienburg gebracht, wo sie das KZ Sachsenhausen aufbauten. Nach ihrer „Auflösung“ kamen die Lager unter die Kontrolle der Justiz, die dort verurteilte Strafgefangene unterbrachte (ab 1937). Natürlich gab es unter den Verurteilten auch Kriminelle: Betrug, Diebstahl, Körperverletzung. Der Großteil wurde aber verurteilt wegen „Hochverrat“, „Rassenschande“, „Heimtücke“ oder „Unsucht mit Männern“ (§175, der Homosexualität unter Strafe stellt, stammte in dieser Form aus der NS-Zeit und galt bis 1969!). Die Palette dessen, was die Faschisten ins Strafgesetzbuch geschrieben hatten, war lang und zielte auf die Ausschaltung und Beseitigung politischer Gegner und unerwünschter Personen, die nicht rechtzeitig hatten ins Ausland fliehen können.

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Modell von den Häftlingsbaracken im Lager Aschendorfermoor, das ein ehemaliger Gefangener aus seinen Erinnerungen und Gefühlen gebaut hat. Foto: Petra Grünendahl.
Modell von den Häftlingsbaracken im Lager Aschendorfermoor, das ein ehemaliger Gefangener aus seinen Erinnerungen und Gefühlen gebaut hat. Foto: Petra Grünendahl.
Mit Kriegsausbruch ergänzten Vergehen wie Desertion/Fahnenflucht, Feigheit vor dem Feind, Unerlaubtes Entfernen von der Truppe, „Wehrkraftzersetzung“ oder Feindbegünstigung die Haftgründe: Die dritte Phase der Nutzung setzte ein. Wobei es für eine Verurteilung wegen Feindbegünstigung schon ausreichte, einem hungernden Kriegsgefangenen ein Stück trocken Brot zu reichen. Außerdem wurden einzelne Lager ausschließlich für die Unterbringung von Kriegsgefangenen verwendet, die der gleichen Prozedur der Zwangsarbeit in den Mooren unterworfen wurden: Franzosen, Belgier, Polen, Russen. Auch polnische Soldatinnen des Warschauer Aufstandes waren in einem der Lager inhaftiert. Man schätzt, dass zwischen 1933 – 1945 rund 180.000 bis 200.000 Menschen insgesamt in den 15 Lagern im Emsland unter menschenunwürdigsten Bedingungen Monate oder gar Jahre verbrachten.

Mauerreste und historische Fundstücke in der Ausstellung. Foto: Petra Grünendahl.
Mauerreste und historische Fundstücke in der Ausstellung. Foto: Petra Grünendahl.
Nach dem Krieg diente Esterwegen zunächst als Internierungslager der Alliierten für Funktionsträger des NS-Staates. Von 1951 bis 1959 zogen Flüchtlinge aus Osteuropa in das Lager, bis sie anderweitig untergebracht werden konnten (Durchgangslager). In der Zeit arbeitete man ja auch noch daran, die einheimische Bevölkerung mit Wohnraum zu versorgen, der im Bombenkrieg flächendeckend verloren gegangen war. Nach dem Auszug der Flüchtlinge wurden über eine Auktion sämtliche Überreste des Lagers verscherbelt und abgebaut, bis an diesem Ort absolut nichts mehr an das Lager erinnerte. Als sich Anfang der 1960-er Jahre die Bundeswehr mit einem Depot dort niederließ, bauten sie neue Hallen, die sie bis 2007 nutzten. Die jenseits des ursprünglichen Lagers (also zwischen Lager und Moor) gebauten Hallen wurden für die Gedenkstätte umgebaut und werden heute für das DIZ genutzt. Das neu gebaute Foyer verbindet die ehemaligen Bundeswehrlager.

Erst nach einem einführenden Vortrag durch einen Betreuer der Gedenkstätte oder nach dem Besuch der Ausstellungsräume sollten Besucher das eigentliche Lagergelände betreten.

Gedenkstätte Esterwegen: das Foyer. Foto: Petra Grünendahl.
Gedenkstätte Esterwegen: das Foyer. Foto: Petra Grünendahl.
Gedenkstätte Esterwegen: das Lager
Im Jahr 2001 beschloss die Bundeswehr das Areal zu verlassen. Dann nahm man die Planung auf für die Gestaltung einer Gedenkstätte: An einem Ort, wo an sichtbaren Zeugnissen nichts mehr übrig war. Erst 2007 zog Bundeswehr ab, 2008 nahm die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen ihre Arbeit auf und 2011 konnte endlich eine Gedenkstätte mit Dokumentations- und Informationszentrum (DIZ) eröffnet werden.

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Links im Boden eingelassen ein Stück von der alten Schotter-Lagerstraße. Die Alleebäume wurden wohl Ende der 1930-er Jahre gepflanzt. Links und rechts des Weges deuten "Baumpakete" die Standorte der Häftlingsbaracken an. Drum herum: Lava-Scchotter (Vulkanstein aus der Eifel). Foto: Petra Grünendahl.
Links im Boden eingelassen ein Stück von der alten Schotter-Lagerstraße. Die Alleebäume wurden wohl Ende der 1930-er Jahre gepflanzt. Links und rechts des Weges deuten „Baumpakete“ die Standorte der Häftlingsbaracken an. Drum herum: Lava-Scchotter (Vulkanstein aus der Eifel). Foto: Petra Grünendahl.
Seit 1981 hatte es Bestrebungen gegeben, eine solche Gedenkstätte zu errichten. Die Widerstände in der Region waren vielfältig, was die Initiatoren allerdings nicht entmutigte. Ein Aktionsbündnis für ein DIZ Emslandlager e. V. gründete sich, unterstützt von ehemaligen Häftlingen. Ein Dokumentationszentrum errichteten 1985 sie in Papenburg (nahe Esterwegen). Mit der Eröffnung der Gedenkstätte wanderte auch die bis dato schon sehr umfangreiche Dokumentation nach Esterwegen. Mit Hilfe der Ausstellung sowie im Idealfall einer Führung kann man die Dimensionen des Lagers und ihre ursprüngliche Bebauung gut einschätzen. Auf der Vorderseite des Dokumentationszentrums lädt ein schmaler Weg ins Moor, wo die damaligen Gefangenen zur harten körperlichen Zwangsarbeit eingesetzt waren.

Ein Stahlsteg führt vom Besucherzentrum direkt ins Moor. Foto: Petra Grünendahl.
Ein Stahlsteg führt vom Besucherzentrum direkt ins Moor. Foto: Petra Grünendahl.
Im DIZ gibt es zur Zeit drei Ausstellungen: Der umfassendste Teil stellt die Emslandlager dar, die unterschiedlichen Phasen ihrer geschichtlichen Entwicklung (1933 – 1936, bis 1939 und bis 1945) und das Leben der Insassen. Eine zweite Ausstellung dokumentiert, was nach dem Krieg mit den Emslandlagern geschah, und zeigt, wie man den „Makel“ in der Umgebung am liebsten unter den Teppich kehren und vergessen wollte. Ein dritter Ausstellungsbereich mit einer Sonderausstellung „Die schönsten Lager Deutschlands“ befasst sich im Überblick mit Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Durchgang in den ehemaligen Lagerbereich. Foto: Petra Grünendahl.
Durchgang in den ehemaligen Lagerbereich. Foto: Petra Grünendahl.
Das Areal des ehemaligen Lagers wurde von einem Landschaftsarchitekten gestaltet. Eine Rekonstruktion im Stil einer Hollywood-Kulisse kam nicht infrage, da Fachleuten der Vermittlungswert eines solchen Ensembles als wenig hilfreich erschien, Leben und Leiden der Gefangenen nachzuempfinden. Nachvollziehen auf einer abstrakteren Ebene kann man die Örtlichkeiten in der letztlich realisierten Gestaltung umso besser. Gruppen aus Sträuchern und Bäumen („Baumpakete“) markieren die Standorte der Baracken. Ein gepflasterter Weg läuft über die alte Lagerstraße, die sich schnurgerade durch das Gelände von den ehemaligen Bereichen der Wachen direkt hinter dem Haupteingang durch Cortenstahl-Tore in die Häftlingsbereiche bis hin zum Todesstreifen zieht.

KZ Sachsenhausen bei Oranienburg. Foto: Petra Grünendahl.
KZ Sachsenhausen bei Oranienburg. Foto: Petra Grünendahl.
Während die ehemaligen Bewacherflächen grün, fast parkähnlich wirken, hat man in den Häftlingsbereichen zwischen den stilisierten Baracken Lava-Schotter als Bodenbelag gestreut, der die unterschiedliche Anmutung der Lagerbereiche in die Gegenwart holt. Wände aus rostrotem Cortenstahl (der Stahl oxidiert an der Oberfläche) umschließen das Gelände anstelle der alten Mauern und Vierfachzaunreihen mit Stacheldraht. Stahlstelen markieren Wachtürme oder Tore, so dass der Besucher zumindest abstrakt einen Eindruck bekommt und die Topographie des Lagers sichtbar wird. Für den Rest überträgt der Besucher die Eindrücke aus dem DIZ in diese in der Sommersonne scheinbar friedliche Idylle.

Je mehr Zeitzeugen wegsterben, umso mehr braucht man solche Orte der Dokumentation ihrer Leiden, die erinnern, ja mahnen, dass so etwas nie wieder geschehen darf!

Mehr Infos: https://www.gedenkstaette-esterwegen.de

© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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