Wo sie einst zuhause waren
Von Petra Grünendahl
Während der Künstler Gunter Demnig (*1947) anstelle des Pflastersteins die beiden Steine mit Messingplatten einsetzt, sie mit Steinbruchstücken umrandet und die Fugen verputzt, erzählte Martin Zensen, zweiter Vorsitzender von ProDuisburg, die Geschichte von Dr. Walter Jülich und seiner Frau Martha. Die beiden lebten von 1930 bis zu ihrer Vertreibung 1939 mit ihren Söhnen Karl und Otto an der Köhnenstraße 6. Auch seine Arztpraxis hatte der in Ruhrort geborene Dr. Jülich in dem gerade damals neu gebauten Haus auf dem Grundstück seiner Schwiegereltern. Den Zweiten Weltkrieg hatte das Haus noch unbeschadet überstanden, war aber Ende der 1950er-Jahre zur Verbreiterung der Köhnenstraße abgerissen worden. Sohn Otto Juelich (*14.12.1927) lebt in Columbus, Ohio (USA) und war angesichts seines Alters nicht mehr in der Lage, der Verlegung der beiden Stolpersteine beizuwohnen Er ist aber aus Verbundenheit zu seiner alten Heimatstadt bis heute Mitglied bei der bürgerschaftlichen Vereinigung ProDuisburg, die sich hier vor Ort für die Stolpersteine für Familie Jülich eingesetzt hatte.
Vor den Stolpersteinen in der Duisburger Innenstadt hatte Gunter Demnig in Homberg-Hochheide für die Eheleute Johanna und Karl Gerson Stolpersteine vor dem Haus Moerser Straße 89 platziert. Neben Mitgliedern von ProDuisburg und dem Jugendring verfolgten Bürgermeister Volker Mosblech und einige interessierte Bürger den „Einbau“ an der Köhnenstraße. Der Kölner Künstler hat seit 1992 über 63.500 Stolpersteine für die Opfer des Nationalsozialismus verlegt, in mittlerweile 21 Ländern Europas. Seit 2008 obliegen die Stolperstein-Verlegungen in Duisburg dem Jugendring der Stadt. Davor war die Evangelische Kirche dafür zuständig.
„Meiner unvergessenen Vaterstadt, der ich eine glückliche Jugendzeit verdanke“
In seiner „Geschichte der Duisburger Juden“, hat der ehemalige Leiter des Stadtarchivs, Dr. Günter von Roden auch dem Duisburger Arzt ein Kapitel gewidmet, das Martin Zensen als Grundlage für die Anmerkungen zur Biographie Jülichs diente. Im zweiten Teil von Band 34 der „Duisburger Forschungen“ beschreibt von Roden kurz den Lebensweg Jülichs, um dann vor allem aus dessen Lebenserinnerungen zu zitieren, die 1959 in New York unter dem Titel „My Human Zoo, the Story of a Refugee Doctor“ erschienen. Der Titel spielt auf sein langes Arztleben und Begegnungen mit Menschen unterschiedlicher Rasse und Mentalität an.
1895 in Ruhrort geboren und dort aufgewachsen, studierte Walter Jülich Medizin in Heidelberg, Gießen und Hamburg, wo er dann auch an einem Krankenhaus arbeitete. Im Ersten Weltkrieg war er als Frontkämpfer in der Schlacht von Verdun verwundet und mit mehreren Ehrenzeichen (Eisernes Kreuz, Verwundetenabzeichen, diverse weitere Kriegsauszeichnungen) ausgezeichnet worden. 1925 ließ er sich in Duisburg nieder, seine erste Praxis eröffnete er am Kuhlenwall. 1930 erfolgte der Umzug ins neue Haus an der Köhnenstraße. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten folgten berufliche und gesellschaftliche Einschränkungen auf Grund des jüdischen Glaubens, Verhaftungen, Gefängnis- und Lageraufenthalte. Nach seiner Verhaftung am 10. November 1938 (Kristallnacht) kam er schließlich ins Konzentrationslager Dachau, von wo man ihn aber wegen seiner beabsichtigten Auswanderung in die USA einen Monat später wieder entließ. Ihre Söhne hatten die Jülichs im Frühjahr 1939 zu Verwandten nach Belgien geschickt, sie selber folgten im Juli. Erst im Dezember 1939 kamen die ersehnten Papiere zur Ausreise nach Amerika, wo sie sich auf Long Island, New York, niederließen.
In seinen Lebenserinnerungen berichtet Jülich von Erniedrigungen und Schmähungen in der Nazi-Zeit, aber auch von Duisburgern, ihm und seiner Familie halfen: Von (arischen) Patienten und solchen, die es nicht waren, die zu ihm kamen als Protest gegen das Unrecht, dass dem Arzt widerfahren war. Von SS-Leuten oder Männern der Gestapo, die ihn und seine Familie „beschützten“, soweit dies in der damaligen Zeit möglich war. Als Walter Jülich mit seiner Frau Martha Mitte der 1950er-Jahre vor seinem alten Haus, seiner Praxis stand und dort den Namen eines anderen Arztes vorfand, kam er zu der Erkenntnis, dass dies nicht mehr sein Haus, seine Stadt und sein Land waren. Er schloss mit dem früheren Leben, mit der Vergangenheit ab, wie er schildert, und konzentrierte sich ganz auf die Gegenwart seiner Familie in Amerika, wo man heimisch geworden war.
Die „Geschichte der Duisburger Juden“ ist übrigens eine interessante Lektüre für alle, die sich für unsere Stadtgeschichte interessieren. Im Druck ist es leider nicht mehr, aber dafür in der Stadtbibliothek zu entleihen – oder antiquarisch zu erwerben. Das Exemplar von „My Human Zoo“ im Stadtarchiv (dieses Buch ist eigentlich nirgends mehr zu haben!) trägt übrigens die handschriftliche Widmung des Autors: „Meiner unvergessenen Vaterstadt, der ich eine glückliche Jugendzeit verdanke.“
© 2017 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl (6), privat (2)
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