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Loveparade-Strafprozess: Ehemaliger Ordnungsamtsleiter Bölling im Zeugenstand

Ein früher Kritiker bezweifelte sichere Durchführung der Veranstaltung in Duisburg
Von Petra Grünendahl

Aus Platzgründen findet das Strafverfahren gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg im CongressCenter der Messe Düsseldorf (CCD) statt. Foto: Petra Grünendahl.
„Wir haben uns einige Strecken im öffentlichen Raum angeschaut, Vor- und Nachteile dazu zusammen gestellt – und sind zu dem Schluss gekommen: Auf öffentlichen Straßen und Wegen sollte diese Loveparade in Duisburg nicht stattfinden“, erzählte Hans-Peter Bölling, damals Leiter des Ordnungsamtes. Ende 2006, Anfang 2007 sei er zum ersten Mal mit der Vorstellung einer Loveparade in Duisburg konfrontiert gewesen. Und er habe erst mal davon abgeraten, im Rahmenvertrag, den Lopavent 2007 mit fünf Kommunen im Ruhrgebiet abschloss, einen konkreten Veranstaltungsort zu nennen. „Der sollte von der Stadt Duisburg erst später festgelegt werden“, so Bölling. Nach der Immobilienmesse MIPIM in Cannes im Frühjahr 2009 sei das Gelände des alten Güterbahnhofs als Veranstaltungsgelände im Gespräch gewesen. Auch hier habe er massive Sicherheitsprobleme gesehen. Er sei mit seiner Stellvertreterin raus gefahren und habe sich das Gelände angeschaut und sei zum dem Schluss gekommen: Hier nicht!

Der inzwischen pensionierte ehemalige Leiter des Ordnungsamtes sagte im Loveparade-Prozess des Landgerichtes Duisburg im CCD der Messe Düsseldorf: Hans-Peter Bölling. Foto: Kai Kitschenberg / FunkeFotoServices.
Im Loveparade-Strafprozess war der damalige Leiter des Ordnungsamtes, Hans-Peter Bölling, als Zeuge geladen. Angeklagt sind vier Mitarbeiter von Lopavent und zehn Mitarbeiter der Stadt Duisburg, mit ihrem Verhalten durch Fahrlässigkeit den Tod von 21 Menschen ´sowie exemplarisch weitere 18 Menschen, die hier als Nebenkläger auftreten, gesundheitlich geschädigt zu haben. Der seit Oktober 2014 pensionierte Bölling war ein früher Kritiker der geplanten Veranstaltung in Duisburg gewesen und hatte sich entsprechend positioniert: Nicht nur, solange das Ordnungsdezernat für die Veranstaltungsplanung verantwortlich zeichnete, sondern auch danach. Mit der Einigung auf ein geschlossenes Privatgelände am alten Güterbahnhof war die Verantwortlichkeit für das Genehmigungsverfahren an das Bauordnungsamt gegangen (März 2010). Die städtischen Mitarbeiter auf der Anklagebank stammen allesamt aus den Reihen des Bauordnungsamtes bzw. von der Spitze des Dezernats.

Zunächst war nach der Loveparade-Katastrophe auch gegen Bölling ermittelt, die Ermittlungen allerdings sehr bald eingestellt worden. Der frühere Ordnungsamtsleiter konnte ein wenig Einblicke in frühe Planungen geben, an denen er noch teilgenommen hatte, sowie zu späteren, soweit sie ihm zur Kenntnis gegeben wurden.

Es gab Warnungen!

Der inzwischen pensionierte ehemalige Leiter des Ordnungsamtes sagte im Loveparade-Prozess des Landgerichtes Duisburg im CCD der Messe Düsseldorf: Hans-Peter Bölling. Foto: Kai Kitschenberg / FunkeFotoServices.
Wie schon bei früheren Zeugenvernehmungen ließ der vorsitzende Richter Mario Plein Hans-Peter Bölling zunächst erzählen, bevor er chronologisch nachfragte, sich auf Ermittlungsakten und Beweismittel beziehend. Bölling ordnete (eigene) Schreiben und Aktenvermerke zu Besprechungen oder Sachverhalten, aber auch Aussagen und Schreiben anderer involvierter Personen in den Kontext des Genehmigungsprozesses ein. Ab Ende 2006 war er Teil davon, später – nachdem die Verantwortlichkeit an das Bauordnungsamt übergegangen war – waren ihm Ergebnisse immer noch zur Kenntnis gegeben worden. Er habe sie eher überflogen auf Punkte, die seinen Verantwortungsbereich betrafen: Die Sicherheit der Menschen im öffentlichen Raum. Und die sah er auch lange noch gefährdet, als das Veranstaltungsgelände nur die Flächen nördlich der Güterbahnhofshallen im Gespräch waren: Das Gelände wäre selbst für die real erwarteten Besucher viel zu klein gewesen und hätte bei Überfüllung geschlossen werden müssen. Mit der Folge, dass Tausende von Besuchern vor den Zugängen im öffentlichen Raum hätten verbleiben müssen.

Die Rampe vom Güterbahnhofsgelände runter zur Karl-Lehr-Straße. Foto: Petra Grünendahl.
Nachdem die Verantwortung für das Genehmigungsverfahren ins Bauordnungsamt (Baudezernat) gewechselt war, besuchten Mitarbeiter des Amtes ein Seminar zum Thema Großveranstaltungen. Auch Böllings Stellvertreterin sowie ein weiterer Mitarbeiter aus dem Ordnungsamt (Ordnungsdezernat) seien dort gewesen. Diese hätten ihm hinterher berichtet, so Bölling, dass der Referent des Seminars ausdrücklich vor der Loveparade gewarnt hatte. Auch von anderen Stellen habe es Warnungen geben. In einer ersten Phasen der Veranstaltung sollten ab 14 Uhr die Loveparade mit 20 Floats über einen 1,3 Kilometer langen Rundweg um die Güterbahnhofshallen ziehen, bevor ab 17 Uhr nördlich der Hallen die Abschlusskundgebung vonstatten gehen sollte. Probleme erwartete Bölling besonders zum „Schichtwechsel“ zwischen der eigentlichen Parade und der Abschlusskundgebung, als vom Gelände abziehende Besucher auf weitere Neuankömmlinge stoßen mussten. Hierfür stand als einziger Ein- und Ausgang die Rampe südlich der Güterbahnhofshallen zur Verfügung, wo es zwischen 16 und 17 Uhr zur Katastrophe kommt.

Wir wollten die Veranstaltung fundiert ablehnen können!

Aus der Unterführung auf der Karl-Lehr-Straße. geht es über die Rampe zum Güterbahnhofsgelände Foto: Petra Grünendahl.
Nach der Absage von Bochum habe Duisburg unter Druck gestanden, zumal im Kulturhauptstadtjahr Ruhr2010: Auch die Medien hätten verkündet, dass sich das Ruhrgebiet eine zweite Blamage (wie Bochum) nicht leisten könne. Das sei auch in Duisburg auf fruchtbaren Boden gefallen. Ordnungsdezernent Wolfgang Rabe, der für das Genehmigungsverfahren der Loveparade in Duisburg federführend verantwortlich war, habe ihm gesagt, dass „man sich eine Absage nicht leisten kann“, so Bölling wörtlich.

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Lopavent habe von der Stadt Duisburg eine großzügige Auslegung der Vorschriften erwartet, hatte ein in die Planungsverfahren involvierter Polizeibeamter bei seiner Vernehmung zu Protokoll gegeben. Man habe sogar mit Abbruch der Gespräche gedroht, so der Beamte. „Die Politik sei risikobereiter gewesen als die Verwaltung“, zitierte Richter Plein weiter aus der Vernehmung von Polizeioberrat K. Plein versuchte, mit Bölling eine Abgrenzung von Politik zur Verwaltung zu ziehen, was nicht ganz unproblematisch ist: Der Oberbürgermeister ist nicht nur ein gewählter Politiker, sondern auch Verwaltungschef. Und die Beigeordneten sind vom Rat gewählte politische Beamte auf Zeit. Plein fragte Bölling, ob sie die Bemerkung des Polizeibeamten auf Ordnungsdezernenten bezogen haben könnte, der in der Planung federführend verantwortlich war: „Dass Rabe für die Veranstaltung ein großes Risiko eingehen und dafür die Verantwortung übernehmen würde, glaube ich nicht“, so Bölling.

Aus der Unterführung auf der Karl-Lehr-Straße. geht es über die Rampe zum Güterbahnhofsgelände Foto: Petra Grünendahl.
Schon den Zeugen Adolf Sauerland hatte der Richter mit der Aussage Hans-Peter Böllings konfrontiert, er habe ihm in einem Schreiben drei „Reißleinen“ an die Hand gegeben, die dem Oberbürgermeister ermöglichen sollten, die Loveparade mit fundierter Begründung und ohne Gesichtsverlust für die Stadt absagen zu können. Und da Bölling den Dienstweg einhalten musste, konnte er das Schreiben nicht an den Oberbürgermeister direkt richten, sondern musste über seinen Vorgesetzten (Wolfgang Rabe) gehen. Dass das Schreiben nicht bei Sauerland angekommen ei, kann Bölling nachvollziehen: „(Ordnungsdezernent) Rabe war nicht der Typ, der Probleme an übergeordnete Instanzen weiter getragen hätte.“ So habe sich Rabe habe wohl später entschuldigt, so Bölling, dass er die Gefährdungsanalyse nicht im Verwaltungsvorstand (Oberbürgermeister und Dezernenten) vorgelegt hätte

Duisburg gedenkt der Opfer der Loveparade. Foto: Petra Grünendahl.
An Details dieses Schreibens vom Januar 2010 konnte sich der Zeuge nicht erinnern. Finanzen wären sicherlich einer der Punkte gewesen: Die hoch verschuldete Stadt hätte für die Loveparade kein Geld ausgeben dürfen. Eine Summe von über 800.000 Euro habe im Raum gestanden, die anders (nicht über den Kommunalhaushalt) hätte finanziert werden müssen. Der zweite Punkt dürfte wohl die Powerpoint-Präsentation gewesen sein, eine Gefährdungsanalyse möglicher Veranstaltungsflächen, die Bölling früher in seinen Ausführungen angesprochen hatte. Dort waren die Ergebnisse einer gemeinsamen Konferenz von Ordnungsamt, Polizei, Bundespolizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten dargestellt – mit den Sicherheitsproblemen möglicher Veranstaltungsorte. Der damalige Polizeichef Rolf Cebin hatte sich auf diese Ergebnisse bezogen, als er seinerzeit öffentlich machte, dass es in Duisburg keinen sicheren Ort für die Veranstaltung der Loveparade gäbe. Dieses Statement hatte dazu geführt, dass Cebin von NRW-Innenminister Ingo Wolf in den Ruhestand geschickt worden war. Auch so entledigt man sich unliebsamer Kritiker. Bedenken gab es – auch öffentlich geäußerte. Dass diese nicht unbegründet waren, zeigen die Ereignisse, deren Folge 21 Tote und Hunderte Verletzte und Traumatisierte waren.

© 2018 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Kai Kitschenberg / FunkeFotoServices (2), Petra Grünendahl (5)

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