Gelände nur für 200.000 bis 250.000 genehmigungsfähig, Tunnel und Rampe zu eng
Von Petra Grünendahl
Ende 2009 habe die Abteilung für Fortbildung der Stadt Duisburg bei ihm für ein Seminar „Risiko und Planung von Großveranstaltungen im Freien“ angefragt, erzählte Klaus Jürgen Schäfer, damals Leiter des Instituts für Feuerwehr- und Rettungstechnologie (IFR) der Stadt Dortmund. Dieses Seminar fand unter seiner Leitung am 22. März 2010 mit Mitarbeitern unter anderem von Feuerwehr, Ordnungsamt und Bauaufsicht in Duisburg statt. Neben rechtlichen Grundlagen widmete man sich der Betrachtung früherer Großveranstaltungen (Loveparade 2007 und 2008, Fußball-WM 2006 oder Papstbesuch 2005, aber auch Ereignissen, bei denen Menschen zu Tode kamen). Die Absage der Techno-Parade in Bochum habe er korrekt gefunden: „Selbst für die realen Besucherzahlen wäre es zu eng gewesen“, sagte Schäfer. Dass der Veranstalter die Besucherzahlen auf über eine Millionen aufgebläht hatte – jede Loveparade musste größer sein als der Vorgänger – habe reale Planungen nicht einfacher gemacht: „Man musste ja für die hohen Zahlen Kapazitäten haben, auch wenn klar war, dass weniger Leute kommen“, so Schäfer. Nach dem Mittagessen sei im Seminar auch die Loveparade zur Sprache gekommen, die Duisburg für Juli plante. In den Duisburger Planungen sei damals, vier Monate vor der Loveparade, aber noch nicht viel Substanz gewesen, befand Schäfer.
Klaus Jürgen Schäfer war als Zeuge im Loveparade-Strafprozess geladen, weil er in diesem Seminar vor der Loveparade in Duisburg gewarnt hatte, nachdem er erste Planungen für das Event sichten konnte. Das IFR beschäftigt sich mit Forschung zu Feuerwehr- und Rettungseinsätzen. Die Mitarbeiter geben dieses Wissen zudem in Seminaren weiter. Der Vorsitzende Richter Mario Plein ließ Schäfer zunächst erzählen, bevor er mit Fragen nachhakte. Seit Dezember 2017 müssen sich vor der 6. großen Strafkammer des Duisburger Landgerichts sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg (Bauaufsicht) und vier Mitarbeiter von Loveparade-Veranstalter Lopavent wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen sowie fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
Ein erfahrener Planer von Großveranstaltungen
Schon 2007 (damals noch als Leiter der Feuerwehr Dortmund) wurde Schäfer erstmals mit der Loveparade konfrontiert, als diese von Berlin ins Ruhrgebiet zog. Schon damals habe er Sicherheitsbedenken gehabt: „Die Straßen im Ruhrgebiet sind eng und bieten keine Entlastungsflächen wie der Berliner Tiergarten.“ Ein Gefahrenpotenzial!
Sowohl in Essen (2007) als auch in Dortmund (2008) habe es massive Probleme gegeben, erzählte Schäfer, die nur durch viel Glück nicht zu Katastrophen geführt hätten. In Essen habe die Loveparade unweit des Hauptbahnhofes stattgefunden, was zum Rückstau der Besucher bis in den Bahnhof hinein und wartende Züge auf den Gleisen führte. Stauungen der Floats habe es bei einer Straßenverengung gegeben, die besonders an einem Wagen kritisch wurden, bei den vielen Menschen drum herum mitliefen. In Dortmund sei es Starkregen gewesen, der gegenläufige Menschenströme aus einem U-Bahnhof ins Freie zur Loveparade sowie in umgekehrte Richtung von Schutz suchenden Menschen ins Trockene verursachte. Hier wie auch an anderen Stellen wurden dichte Menschenmassen zum Problem, da es keine Ausweichflächen gab. Ab sechs Personen pro Quadratmeter wird die Masse zum Risiko, ab acht Personen mitunter tödlich: Roskilde, das Heysel-Stadion in Brüssel oder das Rheinstadion bei einem Tote-Hosen-Konzert führte Schäfer als Beispiele an.
Ende März 2010 frühes Stadium der Planungen
„Zur Loveparade waren beim Seminar lediglich Katasterkarten, Luftbilder sowie Fotos vom Gelände vorgelegt worden“, erzählte Schäfer. Besonders weit seien die Planungen noch nicht gewesen: Das Gelände stand fest, als Zu- und Abgang stellte man sich die Unterführungen an der Karl-Lehr-Straße mit der Rampe zum Gelände vor. Mit einem Zugang über den Verteilerkreis sei, so Schäfer, keine Alternative gewesen: Man hätte die gleichen Probleme bekommen wie in Essen mit dem Rückstau in den Bahnhof, wartenden Zügen und Besuchern, die auf den Gleisen aussteigen, um zum Veranstaltungsgelände zu kommen. Die A59 hätte er als Ausgang öffnen wollen, aber eine Sperrung der Autobahn kam zum damaligen Zeitpunkt noch nicht infrage. Später hatte man die Fläche für Rettungsfahrzeuge vorgehalten. „Die hätte man durchaus auf eine Autobahnseite beschränken können.“
Das Gelände empfand er als ungeeignet (Schotter, verbliebene Gleise), den Zugang durch den Tunnel als riskant: „Menschenströme von zwei Seiten, die aufeinander prallen und dann den 90 Prozent Schwenk auf die Rampe verstehen müssen.“ Das sah er schon als Zugang riskant an. Dass über den gleichen Weg die Besucher das Gelände verlassen sollten, musste zum „Schichtwechsel“ zu weiteren Problemen führen: Wer früh kam, wollte nach der eigentlichen Parade wieder gehen, während zur gleichen Zeit am späteren Nachmittag die Besucher kamen, die zur Abschlusskundgebung wollten. „Die Personenstromführung war gegen jede Regel. Die Breite der Rampe war zu schmal, es gab keine Entlastungsflächen.“ Ähnlich war es auf den Zuwegen vom Bahnhof zur Karl-Lehr-Straße: Bauzäune begrenzten den Straßenraum. So wäre auch klar, dass Vereinzelungsanlagen unter zu hohem Druck nicht standhalten könnten. Und der Druck hätte sich mangels Entlastungsflächen zwangsläufig aufgebaut.
Wie soll man mit ignoranten Vorgesetzten umgehen?
Der Stand der Planungen zum Zeitpunkt des Seminars sei in einem sehr frühen Stadium gewesen, so Schäfer. Die Verantwortung trug damals noch das Ordnungsamt. Allerdings war da schon klar: Wenn das Gelände eingezäunt wird, geht die Verantwortung an die Bauaufsicht. „Ihr wollt uns das doch nicht aufs Auge drücken“, kam von dort abwehrend zurück. Im kleinen Kreis nach dem offiziellen Teil des Seminars habe er die Teilnehmer auch über Möglichkeiten aufgeklärt, wie sie sich gegen den Druck von ignoranten Vorgesetzten absichern könnten, die die Veranstaltung trotz Sicherheitsbedenken durchdrücken wollten: In einem Remonstrationsschreiben (Einwendung / Gegenrede) sollten sie die Gründe darlegen, warum sie die Veranstaltung zu gefährlich halten, und die Unterschrift für die Genehmigung verweigern. Wenn der Vorgesetzte dann unterschreibe, übernehme er damit auch die Verantwortung.
Er und sein wissenschaftlicher Mitarbeiter hatten im kleinen Kreis mit der Stellvertretenden Leiterin des Ordnungsamtes, Feuerwehrleuten sowie Mitarbeitern der Bauaufsicht weiter über die Möglichkeiten von Planung und Genehmigung der Loveparade 2010 in Duisburg gesprochen. So, wie ihm die Planungen vorgestellt worden seien, sei das Ganze nicht genehmigungsfähig gewesen: „Durch Verbesserungen hätte man da aber vielleicht etwas machen können“, fand Schäfer. Er habe angeboten, die Planungen mit dem IFR wissenschaftlich zu begleiten, um hinterher Material aus Kameraüberwachungen für Forschungszwecke mitnehmen zu können. Nachdem er zum 1. Mai 2010 vom Dienst suspendiert worden war, habe er den weiteren Planungsprozess nicht mehr begleiten können, bedauerte Schäfer.
Er habe im Seminar zu einer Gesamtgenehmigung geraten, erinnerte sich Schäfer. Verschiedene Behörden seinen an der Planung beteiligt gewesen (Feuerwehr, Polizei, Ordnungsamt und Bauaufsicht), so dass es ein Gesamtkonzept habe geben müssen. Letztendlich sei es aber nur eine baurechtliche Verfügung gewesen, mit der die Veranstaltung genehmigt worden sei.
© 2018 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
Pingback: Loveparade-Strafprozess: Feuerwehrchef Oliver Tittmann im Zeugenstand - Rundschau Duisburg | Rundschau Duisburg