Nur ein konkretes Gefährdungsszenario
hätte die Veranstaltung verhindern können
Von Petra Grünendahl
„Schon mit der Öffnung des Geländes und der Vereinzelungsanlagen hatte sich ein großer Besucherdruck aufgebaut“, bestätigte Kuno Simon, der als Polizeiführer am Tag der Loveparade in Duisburg tätig war. Am Morgen der Veranstaltung waren noch Planierraupen auf dem Gelände aufgefahren, um den Boden zu verdichten, während schon ab 9 Uhr die ersten Loveparade-Besucher über den Hauptbahnhof nach Duisburg strömten. Statt um 10 Uhr wurde das Gelände erst nach 12 Uhr geöffnet. Und zu diesem Zeitpunkt hatte sich schon ein massiver Druck vor dem Veranstaltungsgelände aufgebaut, welches auch nach Kuno Simons Aussagen an den Vereinzelungsanlagen zur Karl-Lehr-Straße (an der Düsseldorfer Straße im Westen und der Grabenstraße/Kommandantenstraße im Osten) befand.
Im Strafverfahren gegen „Dressler und andere“ hatte die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg den seit 2013 pensionierten Polizeibeamten Kuno Simon als Zeugen geladen. Gegen den heute 68-Jährigen war nach der Loveparade zunächst ermittelt worden: Die Ermittlungen wurden allerdings eingestellt. Er sei nicht unmittelbar in den Planungsprozess eingebunden gewesen, räumte Simon ein, so dass er vieles nur aus Berichten von Kollegen erfahren habe. Der Vorsitzende Richter Mario Plein ließ den damaligen Leitenden Polizeidirektor (LPD) wie gehabt zunächst erzählen: Im Jahr 2007 sei er erstmals mit der Loveparade konfrontiert gewesen, so Simon, als sie ins Ruhrgebiet kommen und 2010 auch in Duisburg stattfinden sollte. Das Gelände des alten Güterbahnhofs („Aurelis-Gelände“) habe er in Augenschein genommen, bevor es endgültig als Veranstaltungsgelände benannt worden war. „Ich war nicht glücklich mit der Wahl des Ortes.“ Und mehr: „In Duisburg gab es nirgends ein Gelände für eine solche Veranstaltung“, bekräftigte Simon. Eine Einschätzung, die der damalige Polizeipräsident Rolf Cebin bekanntlich teilte. Simon schilderte, was er von den Planungen mitbekommen hatte bis zu einer Begehung am Tag vor der Veranstaltung. Am 24. Juli selber habe er die Spätschicht als Polizeiführer übernommen: Ab 12.30 Uhr sei er an seinem Einsatzort gewesen – bis nach Ende der Veranstaltung.
Nach Simons Erzählung hakte Richter Plein mit Fragen nach, versuchte chronologisch die Planungen, so weit sie Kuno Simon bekannt waren, sowie die Ereignisse am Veranstaltungstag aufzuarbeiten. Plein konfrontierte den ehemaligen Polizeiführer chronologisch mit Aussagen aus der Planung, Aktenvermerken sowie aus den Polizeiprotokollen vom Veranstaltungstag, um seine Aussagen in Kontext zu anderen Aussagen und Ereignissen zu setzen. Sehr ausführlich fragte er insbesondere nach, welche Rolle die einzelnen Angeklagten in der Planung gespielt hatten und wie der Zeuge sie dabei wahrgenommen hatte. Hier konnte der pensionierte Polizeibeamte kaum weiterhelfen, war der doch in die Planungen nicht direkt eingebunden und hatte auch an Sitzungen der Arbeitskreise dementsprechend nicht teilgenommen. Den Eindruck, dass insbesondere die Mitarbeiter der Stadt als Genehmigungsbehörde unter politischem Druck gestanden hätten, die Loveparade in Duisburg möglich zu machen, bestätigte Kuno Simon indes schon. Seit Dezember 2017 müssen sich vor der 6. großen Strafkammer des Duisburger Landgerichts sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg (Bauaufsicht) und vier Mitarbeiter von Loveparade-Veranstalter Lopavent wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen sowie fahrlässiger Körperverletzung verantworten.
Verspätete Geländeöffnung sorgten schon früh für Rückstau der Anreisenden
„Als wir am Vortag der Veranstaltung das Gelände besichtigten, wurde dort noch kräftig planiert“, erzählte Simon. Auch Zäume rund um das Veranstaltungsgelände seien noch nicht gezogen worden, die ebenso wie der noch fehlende Sichtschutz zu den Gleisen in der Genehmigung verlangt war. Auf Nachfrage des Richters erklärte Kuno Simon, dass noch Zäune und Absperrungen auf dem Zugang gewesen seien, die dort gar nicht (mehr) hingehört hätten. Angesprochen wurde Simon auch auf die am Veranstaltungstag hinter Zäunen platzierten Polizeifahrzeuge: Die habe er erst vor Ort wahrgenommen (über Hubschrauberkameras). Im Vorfeld sei ihm von dieser Planung nichts bekannt gewesen. Diese abgesperrten Bereiche hatten den Zugang zum Gelände verengt. „Oben war noch genug Platz für mehr Menschen“, bestätigte Simon seinen Eindruck von den Fotos, die die Polizei aus Hubschrauber-Kameras bekommen hatte. Der Durchfluss nach oben war aber nicht da: Die Pusher oben an der Rampe, die Veranstalter Lopavent zu stellen hatte, waren entweder nicht in der Lage, die ankommenden Besucher weiter aufs Gelände locken. Auch der vereinbarte „Löwengang“ (Käfigabsperrung), der abreisende Besucher auf der Karl-Lehr-Straße von dem Strom der Ankommenden trennen sollte, war nicht vorhanden. „Für die Überprüfung der Auflagen für die Genehmigung ist aber nicht die Polizei zuständig. Das liegt in der Verantwortung der Genehmigungsbehörde“, machte Kuno Simon klar.
Die Verantwortung der Polizei
„Die Polizei war am Veranstaltungstag in drei Einsatzbereichen tätig“, erzählte Kuno Simon. Die beiden ersten Bereiche seien die Wegstrecke vom Bahnhof bis zu den Vereinzelungsanlagen zur Karl-Lehr-Straße an der Düsseldorfer Straße bzw. an der Grabenstraße/Kommandantenstraße gewesen. „Die einzelnen Abschnittsführer auf den Zuwegen hatten weitreichende Entscheidungsbefugnisse für ihren Bereich gehabt“, berichte Kuno Simon. Allerdings hätten die Abschnittsverantwortlichen ihre Entscheidungen kommunizieren müssen, damit alle beteiligten Polizeieinheiten den Stand der Dinge kennen würden.
Als dritten Bereich identifizierte der pensionierte Polizist oben auf dem Veranstaltungsgelände, wo die Polizei kleine Straftaten wie Diebstähle, Drogen- oder Sexualdelikte zu verfolgen hatte. Der Weg von den Vereinzelungsanlagen bis zur Rampe habe komplett in der Verantwortung von Lopavent gelegen, so Simon. Bei Rückmeldungen, dass es im Tunnel zu voll geworden wäre, hätte Lopavent die in ihrer Verantwortlichkeit stehenden Vereinzelungsanlagen schließen müssen. Für die Menschen, die keinen Einlass zum Gelände bekommen hätten, wäre dann wieder die Polizei zuständig gewesen. Was durch die Vereinzelung durch kam, lag in der Verantwortung des Veranstalters. Ein Polizeieinsatz auf der Karl-Lehr-Straße wäre also nur auf Anforderung durch den Veranstalter und zu dessen Unterstützung möglich.
„Wenn wir im Vorfeld in der Planung ein konkretes Gefahrenpotenzial hätten benennen können, hätte man die Loveparade in Duisburg absagen müssen“, erklärte der damalige Polizeiführer den Rahmen, in dem die Polizei die Veranstaltung hätte verhindern können. „Ein solches konkretes Szenario hatten wir aber nicht!“
© 2018 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl (4), André Hirtz / Funke Foto Services (1), Lars Heidrich / Funke Foto Services (1)
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