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Loveparade-Strafprozess: Leitender Polizeibeamter am Unglücksort sagte aus

Polizeiketten ließen das Unglück eskalieren
Von Petra Grünendahl

Ein Polizeibeamter sagte im Gerichtssaal in Düsseldorf zur Loveparade-Katastrophe aus: Er war bei der Loveparade unter anderem für die Zugangsbereiche Tunnel und Rampe zuständig. Foto: André Hirtz / Funke Foto Services.
Er könne sich nicht mehr an alles erinnern, sagte Dirk H. Viel habe er seitdem über die Vorkommnisse gelesen und vieles – auch Erlebnisse und Aussagen anderer – habe sich mit seinen Erinnerungen vermischt. Für ihn sei es nach so langer Zeit schwierig, dies wieder auseinander zu halten, so der 49-Jährige. Gegen 10 Uhr habe er 24. Juli 2010 erfahren, dass er kurzfristig den Einsatzabschnitt des ausgefallenen Kollegen Kaiser übernehmen sollte. Der Polizeibeamte war damit bei der Loveparade zum Unglückszeitpunkt zuständig für den Einsatzabschnitt, der auch Tunnel und Rampe umfasste. Noch bevor er nach Dienstantritt im Container des Crowdmanagers eingetroffen sei, sei ihm mitgeteilt worden, dass der Veranstalter die Vereinzelungsanlagen unkoordiniert öffnen und schließen würde – ohne Abstimmung mit denen, die einen Überblick über die Lage in Tunneln und auf der Rampe hätten.

Aus Platzgründen findet das Strafverfahren gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg im CongressCenter der Messe Düsseldorf (CCD) statt. Foto: Petra Grünendahl.
Die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hatte den Polizeibeamten H. im Verfahren gegen „Dressler und andere“ als Zeugen geladen. Seine Verantwortung deckte auf Seiten der Polizei in Teilen mit der des Crowdmanagers Dr. Carsten Hesse, der für den Veranstalter Lopavent für den gesamten Einlassbereich zuständig war. Carsten Hesse war an den Verhandlungstagen zuvor vernommen worden. Seit Dezember 2017 müssen sich vor der 6. großen Strafkammer des Duisburger Landgerichts sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg (Bauaufsicht) und vier Mitarbeiter von Loveparade-Veranstalter Lopavent wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen sowie fahrlässiger Körperverletzung verantworten.

Kommunikationsprobleme und Polizeiketten

Der Vorsitzende Richter Mario Plein, von der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg, flankiert von zwei beisitzenden Richterinnen. Foto: Lars Heidrich / Funke Foto Services.
Nachdem der Vorsitzende Richter Mario Plein den Polizeibeamten wie gehabt zunächst hatte erzählen lassen, befragte er ihn: Dabei versuchte Plein, Einzelheiten, frühere Aussagen und Aussagen anderer an Planung und Sicherung der Veranstaltung Beteiligter mit den jetzigen Aussagen H.s in Verbindung zu bringen, Zusammenhänge herauszuarbeiten und deutlich zu machen. Immer wieder sprach H. von nicht funktionierender Kommunikation: Netzstörungen im Mobilfunknetz, Lärm, der Gespräche – auch über Funkgerät unmöglich machte.

Nicht ganz übereinstimmend sind die Aussagen, wo Crowdmanager Hesse eine Polizeikette auf der Rampe haben wollte: Polizist H. zeigt etwa auf die Mitte der Rampe. Hesse hatte auf das obere Ende verwiesen, um den Stau am oberen Ende der Rampe aufzulösen und die Menschen an den vorbei ziehenden Floats auf das Gelände zu schieben: „Dort hätten wir aber die Arbeit der Pusher [Ordner des Veranstalters] übernommen“, so der 49-jährige Polizist. Statt der rund 100 Pusher waren vermutlich gerade eine Handvoll in Einsatz: Auf jeden Fall viel zu wenig, um im Ansatz die gestellte Aufgabe zu erfüllen. Zumal: „Die Leute waren doch oben an der Rampe an den vorbeiziehenden Floats genau dort, wo sie hinwollten. Warum hätten sie weiter südlich aufs Gelände gehen sollen – weg von der Loveparade.“

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August 2011: Ansichten der Rampe zum alten Güterbahnhof aus dem Jahr 2011. Fotos: Petra Grünendahl.
Als dann größere Gruppen von Besuchern die Veranstaltung verlassen wollten, sei die Polizeikette auf der Rampe selber in den Druck der Masse geraten, erzählte H. Nachdem er vom Container aus auf das Gelände südlich der Karl-Lehr-Straße geklettert war, habe er einen guten Überblick gehabt: „Die Menschenmasse wogte, als da kein Durchkommen mehr war.“ Wer die Polizeikette im Tunnel veranlasst hatte, konnte H. nicht sagen: „Die Tunnel sollten frei bleiben. Wir mussten verhinderen, dass es im Durchgang stockte.“ Die Tunnel wurden zum akuten Problem, als es auf der Rampe nicht mehr weiter ging und Menschenmassen überwiegend von Westen in den Tunnel strömten, nachdem dort die Vereinzelungsanlagen dem Druck von der Düsseldorfer Straße nicht mehr stand gehalten hatten und geöffnet wurden.

© 2018 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: André Hirtz / Funke Foto Services (1), Lars Heidrich / Funke Foto Services (1), Petra Grünendahl (2)

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