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Niederrheinsche IHK lud zum Handelsforum Ruhr ins Lehmbruck Museum Duisburg

Wie man Menschen zurück in die Zentren locken kann
Von Petra Grünendahl

Boris Roskothen, Vizepräsident der Niederrheinischen IHK, betreibt ein traditionsreiches Spielwarengeschäft auf dem Duisburger Sonnenwall. Foto: Petra Grünendahl.
„Es bedarf keiner aufwändigen Analyse, um festzustellen, dass der mitteständische inhabergeführte Einzelhandel mit Dumpingpreisen und einer endlosen Sortimentsbreite nicht mithalten kann“, stelle IHK-Vizepräsident Boris Roskothen, Inhaber des gleichnamigen Spielwarengeschäfts, bei der Begrüßung klar. „Es ist noch nicht lange her, dass wir mit dem Rücken zur Wand standen und ich mit dem Gedanken spielen musste, unser traditionsreiches Geschäft zu schließen. Wir haben uns dann auf unsere Stärken fokussiert und darauf spezialisiert, was wir besonders gut können: Gesellschaftsspiele.“ Er habe Lego und Playmobil aus dem Sortiment genommen – „das kriegen Sie auch woanders zu kaufen“ – und: „Sie bekommen bei mir in Laden einige Tausend verschiedene Brett- und Kartenspiele mit der passenden Beratung – und das alles in einem Ambiente, das zum Spielen und Verweilen einlädt.“ Dazu veranstaltet er passende Events, die Kunden – auch jüngere – in sein Geschäft auf dem Sonnenwall locken.

Die Experten beim Handelsforum Ruhr (v. l.): Gerd Heutelbeck, Tim van Hees-Clanzett, Michael Rüscher, Andree Haack, dahinter Boris Roskothen, Prof. Andreas Krys, dahinter Moderator Tom Hegermann und Jörg Lehnerdt. Foto: Petra Grünendahl.
Die Industrie- und Handelskammern im Ruhrgebiet haben mit dem Handelsforum Ruhr Experten und Wissenschaftler zusammen gebracht, um sich unter dem Thema „Fashion and the City“ über die Entwicklungen der Innenstädte und des Handels auszutauschen. Die ausrichtende Niederrheinische IHK hatte dazu ins Lehmbruck Museum in Duisburg eingeladen. Die Fachleute auf dem Podium zeigten unterschiedliche Ansätze, wie sich der Einzelhandel in den Städten zwischen Discount- und Online-Handel behaupten kann.

Die Warenhäuser als Vollsortimenter, die früher als Nahversorger die Innenstädte versorgten, aber auch Auswärtige durch ihr breit gefächertes Angebot lockten, gehören der Vergangenheit an. Der Nahversorgung dienen heute Lebensmittelmärkte und Discounter. Und vor allem die Discounter machen vor, dass man nicht alle Waren ganzjährige im Angebot haben muss: So haben es Lidl und Aldi unter die Top10 im Bekleidungshandel gebracht. Da sich diese Angebote aber selten in den Innenstadtlagen finden, müssen sich Einzelhandel, Dienstleister, Immobilienbesitzer und die jeweiligen Städte an einen Tisch setzen: Nur mit einem überzeugenden Gesamtkonzept lassen sich Menschen – und damit auch Kunden – in die Zentren (zurück) holen.

Auf der Suche nach überzeugenden Konzepten

Duisburgs Dezernent für Wirtschaft und Strukturentwicklung, Andree Haack. Foto: Petra Grünendahl.
„Die Stadtzentren sind für heutige Verhältnisse viel zu groß dimensioniert. Sie müssen nicht mehr leisten, wofür sie einst angelegt worden waren“, regte Duisburgs Wirtschaftsdezernent Andree Haack Schrumpfungsprozesse mit Augenmaß an. „Es hat seit 1990 ein extremes Flächenwachstum im Einzelhandel gegeben“, sagte Haack. Die Zuwächse kamen aber primär dem großflächigen Einzelhandel zugute, der sich dann aber jenseits der Zentren ansiedelte. Verlierer waren dabei die kleinen inhabergeführten Mittelständler in den Innenstädten. Der Handel zog sich aus den Zentren zurück. Hier müsse die Stadt- und Strukturentwicklung Schrumpfungsprozesse begleiten, erklärte Haack. Das gehe nur gemeinsam: „Wie viel Innenstadt braucht der Kunde von heute?“ Man müsse die Innenstadt über „Erlebnisse“ neu definieren, so Haack.

Aufgehübscht und schick gemacht

Prof. Dipl.-Ing. Architekt Andreas M. Krys von der EBZ Business School in Bochum. Foto: Petra Grünendahl.
Dass die alten Warenhaus-Gebäude heute anders, auch kleinteiliger weiterentwickelt werden müssten, stand auch für den Architekten Prof. Andreas M. Krys von der EBZ Business School Bochum außer Frage. Aber: „Mit einem frischen Anstrich aufhübschen geht nur ein paar Jahre gut. Wenn nicht die Substanz saniert wird, geht es danach wieder bergab“, erklärte Krys. „Wir müssen den alten Charme von solchen Standorten reaktivieren, ihre Einzigartigkeit herausarbeiten“, so Krys, denn: „Wir brauchen Orte, wo wir unsere neuen Klamotten vorführen können, wo wir flanieren können: die Innenstadt!“

Gerd Heutelbeck, Inhaber von Basse und Uerpmann in Iserlohn. Foto: Petra Grünendahl.
„Nach Büroschluss sind heute viele Innenstädte tot. Diese Entwicklung ist selbstverschuldet, denn man etablierte Bürostandorte und vernachlässigte die Zentren als Wohn- und Wohlfühlraum“, erklärte Gerd Heutelbeck. Er ist Einzelhändler in dritter Generation: Das Handelshaus Basse und Uerpmann in Iserlohn wurde von seinem Großvater 1905 mit begründet. In der Vergangenheit sei vielerorts der Fehler gemacht worden, dass gläserne Bürotürme das Wohnen und damit die Menschen aus den Innenstädten verdrängt hätten. Nicht nur die Qualität des eigenen Geschäfts sei wichtig, Kunden anzulocken, so der Iserlohner Kaufmann, sondern auch die Umgebung. Hier brauche man Gesamtlösungen, um wieder Menschen in die Städte zu locken. „Viel zu häufig sperren wir Leute mit Autos aus den Städten aus: Damit gehen uns auch Kunden von außerhalb laufen, ohne die unsere Läden nicht zu halten sind.“ Er mahnte Investitionen in die Standorte an: Verfall vertreibe die Menschen. Quartiere mit kleinteiligen Strukturen und Authentizität seien in Iserlohn wegweisend gewesen.

Wenn Kleider keine (Einkaufs-)Städte mehr machen

Jörg Lehnerdt von der BBE Handelsberatung GmbH aus Köln. Foto: Petra Grünendahl.
„Früher war Mode ein Selbstläufer für die Innenstädte, aber das hat sich geändert“, erklärte Jörg Lehnerdt, Niederlassungsleiter der BBE Handelsberatung GmbH in Köln. „Viele Kleine haben sich aus dem Markt zurückgezogen, inhabergeführte Fachgeschäfte werden weniger.“ Und der Einzelhandel für Mode und Bekleidung hat jenseits der Zentren Konkurrenz bekommen: Discounter bieten sie saisonal ebenso an wie das Internet ganzjährig. Für die nicht mehr benötigten Flächen bräuchte es umfassende innovative Konzepte, die eine erhöhte Kundenfrequenz schaffen. Dazu zählen neben Gastronomie und Dienstleistern auch Freizeit- und Erlebnisangebote. Aber eben auch ein inhabergeführter Einzelhandel, der sich auf seine Stärken spezialisiert. Und: „High-End-Shopping ist sicher nicht das Thema des Ruhrgebiets.“

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„Kleidung ist meist ausschlaggebend dafür, wo man in die Innenstadt zum Einkaufen geht“, so Boris Roskothen. Das stellt natürlich Zentren vor Problem, wo die großen Textiler längst abgewandert sind. Für sie heißt es: Konzepte finden, die mit einem attraktiven Mix und inhabergeführtem Einzelhandel Publikum locken. Dazu diesem Mix zählen Handel und Gastronomie ebenso wie mittlerweile Freizeitangebote und Erlebniswelten. Dazu gehört aber auch, Leerstände mit Leben zu füllen oder attraktiv zu bespielen. Immobilienbesitzer könnten nicht mehr mit Ladenmietern mit langen Vertragslaufzeiten und hohen Mieten rechnen, so Haack. Hier wäre ein Umdenken nötig, wobei er die Innenstadt nicht komplett in Frage stellt: „Menschen suchen Kontakt. Wir müssen künftig kleinere Flächen lebendig gestalten.“

Alle an einen Tisch: Konzepte über Branchen hinweg gefragt

Tim van Hees-Clanzett von der Wirtschaftsförderung Geldern. Foto: Petra Grünendahl.
Die Großen wollten sich nicht mehr so lange binden, erzählte Tim van Hees-Clanzett von der Wirtschaftsförderung Geldern. Start-ups hingegen bräuchten die Option auf einen kurzfristigen Ausstieg, wenn ihre Idee nicht beim Kunden zündet. Der Zugriff auf die Immobilien sei wichtig: Die Stadt Geldern wird hier auch schon mal tätig, kauft Immobilien zunächst selber auf und geht in Vorleistung. Häufig mit dem erwünschten Ergebnis, dass sich dort und drum herum etwas entwickelt. Für die Stadt Duisburg wird hier auf der Münzstraße und in der Altstadt zum Problem, dass sie gar nicht weiß, wer gerade Eigentümer ist: „Wir kriegen schon mal Anfragen von Unternehmen, die sich in bestimmten Gebäuden in der Altstadt ansiedeln wollen, aber manche Immobilien wechseln von einem Fonds in einen anderen, ohne dass wir es mitkriegen“, so Wirtschaftsdezernent Haack. Da sind der Stadt die Hände gebunden!

Auf dem Podium (v. l.): Gerd Heutelbeck, Tim van Hees-Clanzett, Jörg Lehnerdt, Prof. Andreas Krys, Andree Haack und Moderator Tom Hegermann. Foto: Petra Grünendahl.
„Wir brauchen Pioniere, die sagen: Ich mache jetzt mal was!“, erklärte Andree Haack. „Manchmal müssen einzelne voran gehen, um Bewegung in Gang zu setzen“, bestätigte Gerd Heutelbeck. Alle müssten auf den Wandel reagieren, bilanzierte Andree Haack. Allen voran auch die Immobilienbesitzer. Die Innenstädte müssten für Menschen wieder attraktiv werden: Zum Wohnen ebenso wie für Auswärtige mit dem Auto, mahnte Heutelbeck. Den Mut, sich von Teilen des Sortiments und von Marken zu trennen, regte Boris Roskothen an: „Man muss ja nicht anbieten, was es vor Ort schon gibt.“ Neben Discountern und Online-Handel bliebe immer noch Platz für den Spezialisten, so Jörg Lehnerdt: „Wo stelle ich mich auf?“ – „Das Internet in nicht komplett in Frage zu stellen, aber die Menschen suchen Kontakt: Entsprechend müssen wir kleinere Flächen lebendig und für Kunden attraktiv gestalten“, sagte Duisburgs Wirtschaftsdezernent. Dabei spiele der Handel bei der Identität der Städte eine große Rolle: „Aber nur gemeinsam mit allen beteiligten Akteuren können wir das Herz der Kunden zurückgewinnen“, schloss Michael Rüscher, Geschäftsführer der Niederrheinischen IHK für den Bereich Handel und Dienstleistungen, schließlich als Fazit der Podiumsdiskussion die Veranstaltung.

© 2019 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

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