Würdiges Gedenken gestalten
Von Petra Grünendahl
„Das Gesprächsangebot unserer psychologischen Betreuung gilt für alle gleichermaßen: Angehörige, Zeugen, Prozesszuschauer, Justizangestellte und Angeklagte“, erklärte die Psychologin Ulrike Stender. Und: Aus allen diesen Gruppen sei es auch schon angenommen worden. „Es ist ein integraler Bestandteil des Prozesses geworden“, so Notfallseelsorger Richard Bannert, der mit Stender zusammen die Betreuung bei Loveparade-Strafprozess vor dem Landgericht Duisburg koordiniert. Im vergangenen Jahr habe man 650 Gespräche geführt. In diesem Jahr liegt mit 100 Gesprächen erst eine Zahl für das erste Quartal vor: „Die Qualität der Beratung hat sich verschoben seit nur noch gegen drei Mitarbeiter von Veranstalter Lopavent verhandelt wird“, erzählte Bannert. Aktuell, so erzählte Ulrike Stender, seien viele Polizeibeamte, aber auch Mitarbeiter von Lopavent im Zeugenstand, die alle bei der Veranstaltung im Dienst waren: Insbesondere Polizeibeamte hätten heute noch damit zu kämpfen, dass sie im Vorfeld gewarnt hatten, von Veranstalterseite aber beschwichtigt worden waren. Und dass sie, als sie selbst am Tag der Veranstaltung mitten drin waren, nicht hatten helfen können. Manch ein Lopavent-Mitarbeiter habe aber wohl auch die Geschehnisse verdrängt, so Stender. Sie hätten unkoordiniert Zugänge geöffnet, um dort den Druck wegzunehmen, der sich dann im Tunnel und auf der Zugangsrampe dafür aufgebaut hatte. „Die Zeugen wissen meist gar nicht, was sie vor Gericht erwartet“, so Stender. Und die Aussagen führten sie in eine Vergangenheit, die noch nicht verarbeitet ist. Hier nahm Richard Banner die Behörden in die Pflicht: Mehr müsse an Notfallseelsorge für die Hilfskräfte von Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt getan werden, die bei solchen Katastrophen im Einsatz sind.
Neben einem Fazit zur Arbeit der Stiftung Duisburg 24.7.2010 im vergangenen Jahr stellten die Stiftungsvorstände Ulrike Stender und Pfarrer Jürgen Widera zusammen mit Kuratoriums-Sprecher Jürgen Thiesbonenkamp, Notfallseelsorger Richard Bannert und Sozial-Aktivist Rolf Karling auch das Programm zum 9. Jahrestag vor. „Trotz der jährlichen Wiederholung wird es nicht zur Routine“, erklärte Jürgen Thiesbonenkamp. Änderungen im Ablauf hatte es immer wieder gegeben, wo Verbesserungen im Sinne der Gedenkenden nötig waren. „Wir begleiten die Veranstaltung, um würdiges Gedenken zu gestalten, und hoffen, dass auch Duisburger sich angesprochen fühlen vorbeizukommen“, so Thiesbonenkamp.
Von der Nacht der 1.000 Lichter bis zur Gedenkfeier
Traditionell beginnt das öffentliche Gedenken am Vorabend mit der Nacht der 1.000 Lichter: „Ab 16 Uhr können die angelieferten Kerzen aufgestellt werden“, erklärte Rolf Karling, der mit dem Verein „Bürger für Bürger“ die Nacht der 1.000 Lichter bereits im dritten Jahr organisiert. Die Nacht der 1.000 Lichter ist öffentlich. Nach einem (nicht-öffentlichen) Gottesdienst um 20 Uhr werden ab 21.30 Uhr Angehörige erwartet. Auch viele Betroffenen ziehen die Nacht der 1.000 Lichter der eigentlichen Gedenkfeier mit ihrer anwesenden „Prominenz“ vor, weil sie mehr Ruhe im Gedenken bietet.
Die offizielle Gedenkveranstaltung am 24. Juli um 17 Uhr ist ebenfalls öffentlich, allerdings sind dabei Foto- und Filmaufnahmen nicht gestattet. Sie werden in diesem Jahr stringenter unterbunden, weil Appelle im vergangenen Jahr nichts genutzt haben. Auch einen musikalischen Beitrag soll es zur Gedenkveranstaltung wieder geben: Ihn gestalten Norbert und Judith Schneider vom Akkordeon-Orchester Rheinhausen 1950. Am Dienstag, 23. Juli, wird für die Gedenkfeierlichkeiten ab 18 Uhr die Karl-Lehr-Straße für die Durchfahrt für Autos gesperrt (bis zum 24. Juli gegen 22 Uhr).
Hilfsangebote und die Kontakte zu Angehörigen und Betroffenen
Die Hilfsangebote der Stiftung Duisburg 24.7.2019 gehen über die psychologische Betreuung beim Gerichtsprozess weit hinaus. Für Betroffene gibt es immer noch eine betreute Selbsthilfegruppe sowie Beratung und Hilfestellung durch die hauptamtliche Mitarbeiterin der Stiftung, Angelika Köhler, die seit vielen Jahren schon derart beratend tätig ist. Hier werden Kontakte und Therapieplätze vermittelt und mit den zuständigen Stellen kommuniziert wird, um die Finanzierung für Maßnahmen sicher zu stellen. „Da wo eine Therapie sinnvoll ist, für die kein Träger einspringt, zahlen wir als Stiftung auch schon mal die Behandlung“, erzählte Ulrike Stender, die von einem solchen Fall im vergangenen Jahr erst berichtete.
Die Angehörigen der Todesopfer werden – soweit gewünscht – über die Entwicklungen in Duisburg und zum Prozess informiert. Darunter fällt auch die Organisation des Jahrestages, zu dem beispielsweise die Angehörigen der ausländischen Todesopfer immer anreisen. „Von den Deutschen sind ungefähr zwei Drittel da“, erklärte Angelika Köhler. Es gebe eine Familie, die nie nach Duisburg komme, aber dennoch froh sei, auf dem Laufenden gehalten zu werden. Zwei Mal im Jahr würden die Familien angeschrieben, so Widera, und natürlich zum Jahrestag eingeladen. Es gebe aber auch Familien, die diesen Kontakt nicht wünschten, sagte der Pfarrer.
Rolf Karling berichtete von Gerüchten, die sich unter Angehörigen und Betroffenen breit machten, die Stiftung würde im kommenden Jahr – also 10 Jahre nach der Katastrophe – ichre Arbeit einstellen. Dem Gerücht widersprach außer Karling auch Jürgen Widera: „Die Stiftung ist 2015 mit einer Kapitalausstattung gegründet worden, die auf 10 Jahre angelegt ist. Erst 2025 stellt sich dann das Problem einer weiteren Finanzierung.“ Und wenn dann weiterhin Bedarf besteht, Angehörigen und Betroffenen zu helfen, dann müssen Stadt und Land halt die nötigen Finanzmittel als Stiftungskapital nachlegen!
www.stiftung-duisburg-24-7-2010.de
© 2019 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
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