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Industrielles Welterbe in Belgien Teil 1: Steinkohlebergbau in der Wallonie

Vier museal aufbereitete Standorte,
ein Weiterer wartet noch auf Nachnutzung

Von Petra Grünendahl

Zeche Hasard Cheratte in Visé. Foto: Petra Grünendahl.
Zeche Hasard Cheratte in Visé. Foto: Petra Grünendahl.
Von der 1977 stillgelegten Zeche Hasard Cheratte in Visé (Provinz Liège, dt. Lüttich) stehen heute nur noch der gemauerte Förderturm (Schacht 1) mit seinen Nebengebäuden am Hang sowie der Betonturm Belle Fleur (Schacht 4) von hier aus nicht sichtbar auf dem Berg. Nach einem ersten Versuch von 1848 bis 1877 hatte man am Schacht 1 seit 1907 wieder Steinkohle gefördert. Das Gebäudeensemble rund um den Malakowturm verfällt zusehends. Der Betonförderturm (Schacht 3) und weitere Zechengebäude auf dem Areal im Stadtteil Cheratte wurden 2017 abgerissen. Das Stahl-Fördergerüst von Schacht 2 ist schon länger Vergangenheit (hier gibt es nicht einmal historische Fotos). Das Gelände ist gesichert, von einer Nachnutzung der unter Denkmalschutz stehenden Gebäude oder gar Bauarbeiten zu ihrer Erhaltung ist (noch) nichts zu sehen. Ganz anders sieht es nicht weit davon in Blegny-Mine aus: Die ehemalige Zeche ist als Museumsstandort aufbereitet und bietet als Besucherbergwerk Einblicke in die Arbeit untertage.

Zeche Hasard Cheratte in Visé. Foto: Petra Grünendahl.
Belgien, unser kleiner Nachbar im Westen, wird oft unterschätzt. Das Land war mal – nach Großbritannien – zweitgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Die Industrialisierung startete ebenso früher wie die Erschließung und der Abbau der Steinkohle als Treiber der Industrialisierung. Die Steinkohle ist in der Wallonie, dem französischen Teil Belgiens, seit den 1980er-Jahren, in Flandern seit 1992 Geschichte: Die Vorkommen in schmalen Flözen in Schräglage waren nicht mehr wirtschaftlich abzubauen gewesen. Wir haben einige ehemalige Zechenstandorte in der Wallonie besucht. Vier der Standorte – Blegny-Mine (Provinz Liège), Le Bois du Cazier, Bois-du-Luc und Grand-Hornu (alle Provinz Hainaut, dt. Hennegau) – haben (gemeinsam) 2012 den Status als UNESCO Welterbe erhalten: Sie sind museal aufgearbeitet und Teil der European Route of Industrial Heritage (ERIH). Die Standorte sind voneinander unabhängig und eigenständig konzipiert. Ergänzt haben wir unsere Tour um die Zeche Hasard Cheratte, die wir früher schon mal besucht hatten.

Panorama derZeche Hasard Cheratte in Visé. Foto: Petra Grünendahl.

 
Blegny-Mine: Seilfahrt im Besucherbergwerk

Besucherbergwerk Blegny-Mine. Foto: Petra Grünendahl.
Blegny-Mine hieß als Bergwerk ursprünglich Charbonnage d’Argenteau. Heute ist es ein Schaubergwerk mit einer Grubenfahrt von 30 Metern in die Tiefe, einer Führung bis auf die 60-Meter-Sohle – und von dort per Seilfahrt wieder hoch den Beton-Förderturm bis zur Hängebank, wo die Kohle umgeladen wurde. Mehr als in jedem anderen Standort stehen hier die Praxis der Kohleförderung im Fokus. Führungen von ehemaligen Bergleuten zeigen den Kohleabbau, der bei den erkennbar schmalen Kohleflözen in Schräglage schon vergleichsweise früh als zu unwirtschaftlich aufgegeben wurde.

Besucherbergwerk Blegny-Mine. Foto: Petra Grünendahl.
Bereits Mitte des 16. Jahrhunderts hatte hier in Argenteau-Trembleur der Abbau von Steinkohle begonnen, der seit dem 19. Jahrhunderts dann industriell betrieben wurde. Nach dem Beschluss von 1975, alle staatlichen Zuschüsse für die wallonischen Bergwerke zu streichen, schloss die Anlage als letzte wallonische Zeche 1980. Nur wenige Monate nach der Stilllegung kamen die ersten Besucher zur Besichtigung. Allerdings brachten Probleme mit der Entwässerung der Stollen das Projekt „Besucherbergwerk“ fast zum Scheitern. Man investierte in den Ausbau des Rundgangs und legte diesen höher: Eine Einfahrt bis in mehrere Hundert Meter Tiefe, in die dieser Schacht einmal abgeteuft war, ist damit nicht mehr möglich. Aber auch so bekommt man schon gute Einblicke in einen Steinkohlenabbau, der in seiner damaligen Blütezeit weit von der bei uns möglichen Mechanisierung entfernt war.

Besucherbergwerk Blegny-Mine. Foto: Petra Grünendahl.
Ab 1990 konnte Blegny-Mine über EU-Fördermittel die Anlage erweitern und in Ausstellungsräumen die Geschichte und Technik des Bergbaus aus acht Jahrhunderten darstellen. Eine Kunstausstellung, das Biotop auf der Halde und eine Rundfahrt mit der Bimmelbahn runden das wie an allen Standorten familientaugliche Angebot ab. Der Besuch von Zeche, Dauerausstellung (wahlweise Technik oder Kunst) und Biotop kostet 12,50 Euro, Ermäßigungen gibt es für Kinder (6-12), Jugendliche (13-18) und Senioren (60+). Weitere Tarife gibt es für Kombi-Tickets (z. B. inklusive Bimmelbahn). Gruppen-Führungen nach Untertage gibt es in Französisch oder Holländisch, Audio-Guides sind in Englisch und Deutsch verfügbar.

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Impressionen von Blegny-Mine. Fotos: Petra Grünendahl.

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Le Bois du Cazier: die Gedenkstätte

Gedenken in Le Bois du Cazier. Foto: Petra Grünendahl.
Dieser Zechenstandort musste in den 1990er-Jahren für das 2002 eröffnete Museum mehr oder weniger komplett wieder aufgebaut werden. Bereits im Jahr 1967 war die Zeche geschlossen worden, die Gebäude danach dem Verfall preisgegeben. Schlagzeilen schrieb die Zeche, als es am Morgen des 8. August 1956 hier zum größten Unglück in Belgiens Bergbaugeschichte kam. Ein Feuer auf 975 Metern Teufe hatte den Tod von 262 Bergleuten aus 12 Nationen zur Folge: Überwiegend waren es italienienische Arbeiter, die damals über ein Abkommen in Belgien tätig waren, das Italien günstige Kohle garantierte. Das macht Le Bois du Cazier bis heute zum Wallfahrtsort vor allem für Italiener. Und: Alle Jahre wieder finden am 8. August Gedenkfeiern statt. Zum Unglück 1956 gibt es einen interessanten Artikel im Spiegel.

Das Maschinenhaus des zweiten Förderturms in Le Bois du Cazier wurde nicht wieder aufgebaut: es zeigt den Stand des Verfalls. Foto: Petra Grünendahl.
Eine Konzession zum Kohleabbau datiert von 1822, aber erst 1874 wurde eine Betriebsgesellschaft für den Standort gegründet. Heute birgt der als Museum wieder aufgebaute Standort außer der Gedenkstätte für den 8. August 1956 (mit Dokumentationszentrum und Bergbaumuseum) das Museum der Industrie (mit dem Fokus auf Stahl) und das Glasmuseum. Darüber hinaus versteht sich der Ort als Begegnungsstätte und thematisiert die Rolle der Zuwanderer, die den Bergbau und die Industrialisierung in Belgien erst möglich gemacht hatten. Im Eingangsbereich begrüßt die Besucher eine steinerne weiße Stele, in der die Namen der Todesoper des Minenunglücks eingemeißelt sind. Die Halden um das Areal sind bewaldet, Biotope wurden entlang von Wanderwegen angelegt.

Gedenken in Le Bois du Cazier. Foto: Petra Grünendahl.
Es gibt geführte Touren für Gruppen (im Vorfeld gebucht, je nach Bedarf in Französisch, Holländisch, Englisch und Italienisch) oder Audio-Guides für individuelle Besucher (ebenfalls in den Sprachen Französisch, Holländisch, Englisch und Italienisch), die ermöglichen, die Geschichte des Areals an Biografien nachzuvollziehen. Der Eintritt kostet für Erwachsene 8 Euro (zzgl. 1 Euro für den Audio-Guide). Ermäßigungen gibt es für Gruppen, Kinder, Senioren und Menschen mit Behinderung. Spezielle Tarife gelten für unterschiedliche Arten von Gruppenführungen.

 
Impressionen von Le Bois du Cazier. Fotos: Petra Grünendahl.

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Bois-du-Luc: Arbeits-, Werk- und Wohnstätten

Freilichtmuseum Bois-du-Luc. Foto: Petra Grünendahl.
Freilichtmuseum Bois-du-Luc. Foto: Petra Grünendahl.
Eine erste Gesellschaft, die sich der Kohlegewinnung widmete, wurde in Bois-du-Luc schon 1685 gegründet: einer Zeit, als der Besitzer des Landes die Kohlelager unter seinem Land ausbeuten durfte. Mit dem Beginn der industriellen Revolutionen brauchte man zum Abbau von Kohle Konzessionen für die Ausbeutung der Lagerstätten, die vom Besitz des Grundes darüber unabhängig waren. Die heutigen Zechenanlagen stammen vom Beginn des 19. Jahrhunderts: Ein Fördergerüst umgeben von Maschinenhalle und Betriebsgebäuden, auf einem zweiten Areal Werkstätten und Büros, die originalgetreu wieder aufgebaut wurden. Am Rande der Zeche liegt eine Siedlung für die Bergleute mit einem Ortskern als soziales Zentrum. Und, zwischen den beiden Betriebsarealen des Museums mit Blick auf die Siedlung: Das Herrenhaus, das den Paternalismus der Epoche und die „Aufsicht“ des Zecheneigners über seine Arbeiter deutlich macht. Die Zeche schloss 1973. Schon 1983 wurde auf der restaurierten Anlage ein Freilichtmuseum eröffnet.

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Freilichtmuseum Bois-du-Luc. Foto: Petra Grünendahl.
Der Eintritt kostet für Erwachsene 8 Euro (diverse Ermäßigungen sind möglich) zzgl. 1 Euro für den Audio-Guide, den es nur in Französisch, Holländisch und Englisch gibt. Die so geführte Tour führt nicht nur durch die wirtschaftliche, sondern auch politische und soziale Entwicklung jener Zeit.
 
 
 
 
 
 

Impressionen von Bois-du-Luc. Fotos: Petra Grünendahl.

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Le Grand-Hornu: Arbeiterbewegung und der soziale Wandel

Le Grand-Hornu. Foto: Petra Grünendahl.
Ab 1778 wurde auf Grand-Hornu Kohle gefördert. Der französisch-stämmige Industrielle Henri de Gorge, dessen Statue im Innenhof des industriellen Baudenkmals steht, kaufte die Zeche 1810 von der Witwe des Gründers. Er modernisierte die Produktion der unrentablen Zeche und ließ einen monumentalen ovalen Backsteinkomplex für Zechenverwaltung, Maschinenhalle und Stallungen errichten, der mit seiner neoklassizistischen Architektur an eine römische Arena erinnert. Drum herum entstanden ein Herrenhaus (Château Bossu) und eine Zechensiedlung für die Arbeiter, die der industrielle Bergbau benötigte. In kleinerem Umfang hatten Bauern der Umgebung unter ihrer Scholle schon ab dem 14. Jahrhundert Kohle abgebaut. Der Zechenbetrieb auf Grand-Hornu schloss 1954.

Arbeitersiedlung auf Le Grand-Hornu. Foto: Petra Grünendahl.
Ein Fördergerüst gibt es hier nicht mehr, eine frühere Maschinenbauhalle ist her nur in Umrissen zu erkennen. Wegen des fortschreitenden Verfalls wollte man die Gebäude 1969 abreißen. Ein Architekt kaufte das Gebäude-Ensemble 1971 und begann mit der Restaurierung. 1989 kaufte es die Provinz Hainaut (dt. Hennegau), die zusammen mit der Region Wallonie die weitere Restaurierung und die museale Aufarbeitung betrieb. Es entstanden auf der Anlage zusätzlich ein Design-Museum (Träger ist das CID Centre d’innovation et de desigen au Grand-Hornu) und ein Museum für zeitgenössische Kunst.

Le Grand-Hornu. Foto: Petra Grünendahl.

Herrenhaus auf Le Grand-Hornu. Foto: Petra Grünendahl.
Für 10 Euro bekommen Erwachsene (ermäßigt für Senioren und Kinder) Zutritt zur historischen Stätte inklusive Audio-Guide (in Französisch, Holländisch, Englisch oder Deutsch). Der Audio-Guide führt in die Zeit Henri De Gorges: Der Industrielle selbst erzählt, wie er die Zeche, Herrenhaus und Arbeitersiedlung gebaut und sich ab den 1830er Jahren mit einer aufkeimenden Arbeiterbewegung auseinander zu setzen hatte, die – wie nach und nach überall in Europa – Reformen und Freiheit verlangten.

 
Impressionen von Le Grand-Hornu. Fotos: Petra Grünendahl.

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Als weiteren Aspekt der Industrialisierung Belgiens haben wir uns der Binnenschifffahrt und dem Canal die Centre mit seinen beeindruckenden Schiffshebewerken gewidmet.

Adressen und weitere Informationen

Besucherbergwerk Blegny-Mine. Foto: Petra Grünendahl.

  • Hasard Cheratte, Rue de Visé, BE-4602 Visé (Cheratte), https://de.wikipedia.org/wiki/Zeche_Hasard
  • Blegny-Mine, Rue Lambert Marlet 23, BE-4670 Blegny, www.blegny-mine.be
  • Le Bois du Cazier, Rue du Cazier 80, BE-6001 Marcinelle (südlich von Charleroi), www.leboisducazier.be
  • Bois-du-Luc, Rue Saint-Patrice 2B, BE-7110 Houdeng-Aimeries (La Louvière), https://www.ecomuseeboisduluc.be
  • Le Grand-Hornu, Rue Saint-Louise 82, BE-7301 Hornu (Mons), www.grand-hornu.be

© 2019 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
 


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Ein Kommentar "Industrielles Welterbe in Belgien Teil 1: Steinkohlebergbau in der Wallonie"

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