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Loveparade-Strafprozess: Bauamtsleiterin sagte aus

Es gab eine Baugenehmigung, keine Veranstaltungsgenehmigung!
Von Petra Grünendahl

Der Loveparade-Strafprozess vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg findet aus Platzgründen im Congress-Center der Düsseldorfer Messe statt. Foto: Petra Grünendahl.
„Ich möchte den Eltern mein Mitgefühl aussprechen: Ein Kind zu verlieren, ist wohl das Schlimmste, was einem passieren kann“, begann Bauamtsleiterin Anja Geer ihre Aussage. Sie fuhr fort, dass sie es für wichtig hielte, die Aufgaben des Amtes für Baurecht und das Prozedere der Baugenehmigung zu erklären: Allezu viele hätten ihrer Meinung nach eine falsche Vorstellung von dem, was ihr Amt zur Vorbereitung der Loveparade beigetragen habe. „Um auf einem geschlossenen Gelände eine Veranstaltung durchzuführen, braucht es eine Genehmigung nach Versammlungsstättenverordnung und nach Sonderbauverordnung. Nachdem feststand, dass das Gelände des alten Güterbahnhofs als Veranstaltungsgelände eingezäunt werden sollte, kam Anfang 2010 die Bauaufsicht in Spiel“, erzählte die Amtsleiterin. Schon viele Monate dauerten zu diesem Zeitpunkt Planungen und Vorbereitungen von Polizei, Feuerwehr und Ordnungsamt. Letztere sind für die Genehmigung einer Veranstaltung im öffentlichen Raum zuständig. Die Zuständigkeit für eine Genehmigung wechselte ebenso wie die Art der Genehmigung: „Wir planen keine Veranstaltung. Wir bekommen einen Bauantrag, den wir, wenn alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sind, genehmigen müssen“, umriss die Amtsleiterin die Aufgaben der Bauaufsicht. „Wir überprüfen nur, ob gesetzliche Anforderungen an Fläche, Gebäude oder bauliche Anlagen erfüllt sind.“

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Der Vorstizende Richter Mario Plein (mitte) mit zwei beisitzenden Richtern beim Loveparade-Strafprozess im Gerichtssaal im Congress Center Düsseldorf. Foto: Lars Heidrich / Funke Foto Services.
Die Amtsleiterin des Duisburger Amtes für Baurecht und Bauberatung, Anja Geer, sagte im Strafprozess zur Loveparade-Katastrophe von 2010 vor der 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg erstmals zur Sache aus. Die 51-Jährige hatte bis Jahresanfang zu den Angeklagten gehört. Gegen sie war das Verfahren aber – wie gegen alle damaligen Mitarbeiter der Stadt sowie einen ehemaligen Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent – ohne Auflagen eingestellt worden. Gegen drei Angeklagte wird wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung weiter verhandelt: Sie waren damals als Mitarbeiter der Lopavent GmbH an den Planungen des Events beteiligt. Der Vorsitzende Richter Mario Plein ließ die Zeugin zunächst erzählen, welche Rolle sie im Genehmigungsverfahren spielte, bevor er ihr aus Schriftstücken, Ermittlungsakten sowie Aussagen anderer Zeugen Sachverhalte vorhielt.

 
Wenig Kooperation vom Veranstalter: Wozu ein Bauantrag, wenn wir nicht bauen?

Gedenktstätte für Opfer der Loveparade 2010 in Duisburg am Alten Güterbahnhof.
Foto: Petra Grünendahl,
„Wir haben in den letzten Jahren viel zusammen gesessen und versucht zu klären, was passiert ist. Ich habe Dinge zur Kenntnis bekommen, die ich damals im Vorfeld der Loveparade nicht gewusst habe“, sagte die Zeugin. „Es ist schwer, heute zu differenzieren, was ich 2010 gewusst habe und was erst später.“

„Wir prüfen bei Veranstaltungsstätten nicht, ob die Veranstaltung problemlos verlaufen würde. Wir müssen ein Brandschutzkonzept haben, dass im Ernstfall eine Entfluchtung gefahrlos möglich ist“, erklärte die Amtsleiterin. Die Bauordnung verlange für die Genehmigung eines Bauantrages nicht, dass der Zugang zur Fläche überprüft wird: „Die Veranstaltungsfläche begann an der Rampe. Früh in der Planung war damit klar, dass die Tunnel nicht voll laufen durften. Dazu schrieb die Bauordnung Vereinzelungsanlagen vor, die aber nicht auf dem Veranstaltungsgelände, sondern im öffentlichen Raum installiert wurden“, sagte die Zeugin. Für die Sicherheit bei Großveranstaltungen im öffentlichen Raum ist das Ordnungsamt zuständig. „Wir sind davon ausgegangen, dass die Leute nicht ungebremst auf die Rampe kommen. Für uns war klar, da kümmern sich andere drum“, erklärte die Bauamtsleiterin die Zuständigkeiten der Fachleute von Ordnungsamt, Feuerwehr und Polizei für die Sicherheit der Zuwege.

 
Seit das Bauordnungsamt Anfang 2010 in das Genehmigungsverfahren involviert war, hätten ihre Mitarbeiter die Veranstalterin Lopavent mehrfach und immer wieder aufgefordert, eine Bauantrag einzureichen, damit ihre Behörde die Genehmigung des Güterbahnhofsgeländes als Veranstaltungsgelände prüfen könne: „Dies ist sowohl von der Kanzlei von Lopavent als auch von den Mitarbeitern immer wieder zurück gewiesen worden. Der Kooperationsvertrag der Ruhrgebietsstädte von 2007 hätte eine solche Vorgehensweise nicht vorgesehen, so die Lopavent-Argumentation.

 
Für die Sicherheit der Zu- und Abwege waren Fachleute gefragt

Gedenktstätte für Opfer der Loveparade 2010 in Duisburg am Alten Güterbahnhof.
Foto: Petra Grünendahl,
Ihr Amt habe Vereinzelungsanlagen an den Zugangsstrecken verlangt und auch, dass die Besucherzahlen erfasst würden: „Die technischen Möglichkeiten gab es schon damals, dies ohne hohen Zusatzaufwand zu machen“, so die Zeugin. Und mit Überschreiten der Besucherzahlen, für die das Gelände genehmigt war – 180.000 Besucher gleichzeitig –, hätte ein weiterer Zugang zum Gelände gesperrt werden müssen. Dies jedoch, so die Zeugin, lag in der Verantwortung des Veranstalters bzw. des Ordnungsamtes und der Polizei. „Für die Zugänge zum Gelände waren Fachleute verantwortlich. Denen hätten wir doch nicht sagen können, was geht und was nicht. Ein Zuständigkeitsvakuum für den Tunnel hat es nicht gegeben: Das war der Zuweg zum Veranstaltungsgelände, damit hatten wir nichts zu tun.“

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„Es ist nicht unüblich, dass Bauherren große Vorhaben platzen lassen wollen, wenn sie Gegenwind bei der Baugenehmigung kriegen. Lopavent war in dieser Hinsicht ein ganz gewöhnlicher Bauherr“, erklärte die Amtsleiterin. Nur: „Die wollten nicht einsehen, dass sie einen Bauantrag einzureichen hatten. Das wäre nicht nötig: ‚Wir bauen doch gar nicht’ haben sie argumentiert.“ Dass sie einen solchen im Gegensatz zu Essen oder Dortmund einzureichen hatten, war der Tatsache geschuldet, dass die Veranstaltung dort im öffentlichen Raum stattfand. In Duisburg jedoch sollte die große Party auf einen eingezäunten Privatgelände steigen, für das eine Nutzungsänderung beantragt werden musste: Deswegen ein Bauantrag! Nachdem Lopavent und deren Anwälte monatelang von der Bauaufsicht ein „konstruktive Entgegenkommen“ gefordert hatten, reichten sie Anfang Juni schließlich doch einen Bauantrag ein. Erst jetzt konnte die Bauaufsicht diesen darauf hin prüfen, ob alle gesetzlichen Anforderungen an die Fläche erfüllt sind. Sicherheitsbedenken der Fachleute von Feuerwehr, Polizei oder Ordnungsamt spielten hierfür keine Rolle, denn für die Zuwegung galten andere Zuständigkeiten als für die Veranstaltungsfläche. „Wir haben nicht billigend in Kauf genommen, dass Menschen zu Schaden kommen, wie uns immer wieder vorgeworfen wurde. Ich wusste doch, dass sich Kinder meiner Mitarbeiter und meiner Freunde auf der Loveparade sein würden. Wenn sich jeder an Absprachen gehalten hätte, wäre nichts passiert“, ist sich die Zeugin sicher.

 
Man erinnere sich an Aussagen früherer Zeugen vor Gericht [den einen oder anderen haben wir hier auch dokumentiert], die vom unkoordinierten Öffnen und Schließen der Vereinzelungsanlagen und mangelhafter Kommunikation der vor Ort Verantwortlichen berichteten. So konnten Tunnel und Rampe voll laufen, was die Vereinzelungsanlagen und wenn nötig die Sperrung der Zuwege zum Gelände hätten verhindern sollen.

 
© 2019 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
Fotos: Petra Grünendahl (3). Lars Heidrich / Funke Foto Services (1)
 


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