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Loveparade-Strafprozess: Sachgebietsleiter der Duisburger Bauaufsicht sagte aus

Zuwegsproblematik: Besucherströme kein Teil der Baugenehmigung
Von Petra Grünendahl

Aus Platzgründen findet das Strafverfahren gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg im CongressCenter der Messe Düsseldorf (CCD) statt. Foto: Petra Grünendahl.
„Anfang Februar 2010 stand das Gelände des alten Güterbahnhofs als Veranstaltungsfläche fest. Ab März wurden wir dann in die schon lange laufenden Planungen einbezogen, weil der eingezäunte Veranstaltungsbereich eine Baugenehmigung erforderte“, erzählte der Zeuge J. „Unsere Forderung nach einem Bauantrag war vom Veranstalter bzw. deren Anwälten immer wieder abgewehrt worden: ‚Wir bauen doch gar nicht’, sagten sie.“ Und: „Wir werden Anregungen in die Besprechungen rein gegeben haben, konnten aber ohne Bauantrag noch nichts tun“, meinte J. Ende April habe er das erste Mal an einer Arbeitsgruppensitzung teilgenommen, wo er erwartete Besucherzahlen infrage gestellt habe: „Ich habe angemerkt, dass wir in der Baugenehmigung Obergrenze für Besucherzahlen festlegen müssen.“ Damals waren – mit zwei Personen je Quadratmeter – rund 180.000 Besucher gleichzeitig im Gespräch. Erst Anfang Juni habe dann ein Bauantrag vorgelegen, dessen Eingang mit umfangreichen Nachforderungen für Unterlagen an den Bauherren, Loveparade-Veranstalter Lopavent GmbH, bestätigt wurde.

 

Der Vorstizende Richter Mario Plein (mitte) mit zwei beisitzenden Richtern beim Loveparade-Strafprozess im Gerichtssaal im Congress Center Düsseldorf. Foto: Lars Heidrich / Funke Foto Services.
Als Zeugen hatte die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg den Sachgebietsleiter der Unteren Bauaufsicht im Amt für Baurecht und Bauberatung der Stadt Duisburg geladen, der für die Bearbeitung des Genehmigungsverfahrens zuständig war. Der heute 57-jährige Technische Angestellte hatte bis Jahresanfang zu den Angeklagten gehört. Gegen ihn war das Verfahren aber – wie gegen alle damaligen Mitarbeiter der Stadt sowie einen ehemaligen Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent – ohne Auflagen eingestellt worden. Gegen drei Angeklagte wird wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung weiter verhandelt: Sie waren damals als Mitarbeiter der Lopavent GmbH an den Planungen des Events beteiligt. Der Vorsitzende Richter Mario Plein ließ den Zeugen zunächst erzählen, welche Rolle er im Genehmigungsverfahren spielte, bevor er ihm aus Schriftstücken, Ermittlungsakten sowie Aussagen anderer Zeugen Sachverhalte vor hielt.

 
Spätem Bauantrag mussten umfangreiche Unterlagen nachgereicht werden

Achter Jahrestag der Loveparade-Katastrophe: Nacht der 1.000 Lichter an der Gedenkstätte. Foto: Petra Grünendahl.
Nachdem die Loveparade 2010 in Duisburg auf einem eingezäunten Privatgelände stattfinden sollte, war statt einer ordnungsrechtlichen Verfügung (Veranstaltungsgenehmigung) eine Baugenehmigung nötig. Die Bauaufsicht wurde dafür erst spät in die schon seit vielen Monaten laufenden Veranstaltungsplanungen einbezogen. Wobei „einbezogen“ – wenn man den bisherigen Aussagen von Mitarbeitern des Bauordnungsamtes glauben darf – nicht das richtige Wort ist: Man erwartete von ihnen eine Genehmigung, ohne dass man sich klar war, was die Bauordnung zu prüfen hatte. „Die Versammlungsstätten-Verordnung ist nicht auf Großveranstaltungen ausgerichtet, konnte also nicht 1:1 umgesetzt werden“, so Zeuge J. Zumal er einräumte, dass die Auflagen für Veranstalter dann unerfüllbar seien. Die Verordnung beziehe sich auf Räume und wäre auch von daher im Freien nicht umzusetzen: Sprinkleranlagen nannte er als Beispiel. Die vom Gesetzgeber geforderte Fluchtwegbreite sollte deshalb im Freien durch eine Entfluchtungsanalyse ersetzt werden, so J.

Genehmigt wurde die Nutzungsänderung des Partygeländes, ohne die dort keine Veranstaltung hätte stattfinden dürfen. Besagte Genehmigung war, wie auch J. in seinen Aussagen immer wieder deutlich machte, eine Baugenehmigung. Dafür gibt es in Land NRW die Versammlungsstättenverordnung*, nach der der Bauantrag genehmigt werden muss, wenn die vom Gesetzgeber geforderten Auflagen erfüllt sind. Zu diesen Auflagen zählen zum Beispiel die Beschaffenheit des Untergrundes, der von den Besuchern gefahrlos zu nutzen sein muss, eine Obergrenze für Besucher sowie Fluchtwege (Brandschutzkonzept). „Das Bauordnungsamt plant keine Veranstaltung!“, machte auch J. im Zeugenstand deutlich. Und: „Besucherströme gehören nicht zur Baugenehmigung“, erklärte J. Das gelte für die Zuwege zum Gelände ebenso wie Bewegungen auf dem Gelände: „Das war Sache des Veranstalters, der uns erklärte wie auf dem Gelände die Besuchersteuerung laufen sollte.“

Die baugenehmigungspflichtige Fläche habe unten an der Rampe begonnen: „Das legt der Veranstalter in seinem Bauantrag so fest“, so der Zeuge. Laut Landesbauordnung seien öffentliche Straßen keine Zuständigkeit der Bauordnung, merkte er an. Eine einzige vom Gesetzgeber vorgesehene Verfügung ging über das Veranstaltungsgelände hinaus. Wegen der Besucherobergrenze, so erzählte J., habe man die Zählung der Besucher verlangt: „Der Veranstalter sollte uns zusichern, dass er zählt. Das war nötig, um das Gelände bei zu vielen Besuchern vorübergehend schließen zu können.“ Letztendlich wollten wohl Veranstalter, Ordnungsamt und Polizei zählen.

 
Bauaufsicht sollte nur genehmignen

August 2011: Ansichten der Rampe zum alten Güterbahnhof aus dem Jahr 2011. Fotos: Petra Grünendahl.
So sehr man sich unter der Koordination des Ordnungsdezernats in den Arbeitsgruppen mit Sicherheitskräften, Ordnungsamt und Veranstalter um eine Verzahnung der sicherheitsrelevanten Akteure bemühte: Die Bauaufsicht blieb weitgehend außen vor. Als der Gutachter Prof. Schreckenberg auf die Tunnelproblematik** hingewiesen habe, hätte ihn vielmehr der damalige stellvertretende Feuerwehrchef auf seine Nachfrage zurechtgewiesen, er solle sich nur um seine Zuständigkeiten kümmern, gab der Zeuge zur Kenntnis.

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Die Baugenehmigung habe er am Nachmittag des 23. Juli bei einer Begehung des Geländes ausgehändigt, erzählte J. Letzte kleinere Mängel hätten bis abends beseitigt sein sollen: „Der Veranstalter hat sich das sehr bemüht, die Mängel zu beheben“, so der Zeuge. Was trotzdem noch beanstandet wurde, sollte bis Samstagmorgen behoben sein. Ordnungsamtsleiter Bölling wollte dies am Morgen noch einmal überprüfen. Die Arbeit des Bauordnungsamtes war mit Aushändigung der Baugenehmigung abgeschlossen.

*) Sonderbauverordnung Teil I: Versammlungsstätten
**) Die „Tunnelproblematik“ war auch nicht Teil von Schreckenbergs Gutachten, hatte dieser doch nur die Entfluchtungsanalyse zu begutachten.

 
© 2019 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl (3), Lars Heidrich / Funke Foto Services (1)

 

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