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Loveparade-Strafprozess vor der Einstellung: Ein Kommentar

Das Ende des Versuchs von Aufklärung
Von Petra Grünendahl

Aus Platzgründen findet das Strafverfahren gegen vier Mitarbeiter des Veranstalters Lopavent und sechs Mitarbeiter der Stadt Duisburg vor der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg im CongressCenter der Messe Düsseldorf (CCD) statt. Foto: Petra Grünendahl.
Mit der Eröffnung des Strafprozesses im Dezember 2017 erhofften sich die Opfer der Loveparade 2010 in Duisburg Aufklärung über die Ursache der Katastrophe und eine Bestrafung der Schuldigen. Nachdem bereits im Januar 2019 das Verfahren gegen sieben der zehn Angeklagten eingestellt worden war, steht nun der Prozess gänzlich vor der Einstellung. Man erinnere sich: Auch gegen die verbliebenen drei Angeklagten, damals Mitarbeiter des Loveparade-Veranstalters Lopavent GmbH, wäre das Verfahren eingestellt worden, hätten die Angeklagten eine Geldauflage bezahlt. Sie wollten aber nicht den „Freispruch zweiter Klasse“, sondern einen „richtigen“, so dass ihretwegen der Prozess fortgeführt wurde. Und auf einen solchen konnten sie zu Recht hoffen: Allzu häufig wurde die Frage des Gerichts an Zeugen, ob man die Angeklagten kenne, verneint. Das erschwert die Zuweisung einer individuellen strafrechtlichen Schuld, die für eine Verurteilung nötig ist.

 

Der Vorsitzende Richter Mario Plein von der 6. großen Strafkammer des Landgerichts Duisburg, flankiert von zwei beisitzenden Richterinnen beim Loveparade-Strafprozess. Foto: Lars Heidrich / Funke Foto Services.
Die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat bislang im Gerichtssaal im CongressCenter Ost der Messe Düsseldorf an über 180 Verhandlungstagen Zeugen vernommen. Sie sollten die Umstände beleuchten, die zum Tatvorwurf führten, der den Angeklagten zur Last gelegt werden: Fahrlässige Tötung in 21 Fällen und fahrlässige Körperverletzung in mindestens 650 Fällen. Die verbliebenen drei Angeklagten waren damals als Mitarbeiter der Lopavent GmbH an den Planungen des Events beteiligt. Die letzten Verhandlungstage in März und April waren wegen des Coronavirus ausgefallen. Die Zeit drängt, denn im Juli verjährt – nach zehn Jahren – der Vorwurf der fahrlässigen Tötung. Der Vorsitzende Richter Mario Plein hatte angesichts der knapper werdenden Zeit – wann eine Fortsetzung des Prozesses möglich ist, ist ungewiss – eine Einstellung des Verfahrens angeregt. Die Duisburger Staatsanwaltschaft hat diesem Vorschlag bereits zugestimmt, die Verteidiger ebenfalls. Die Frist für die Stellungnahmen der Nebenkläger-Vertreter läuft noch bis zum 27. April.

 

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Unbefriedigend! Ein Kommentar

Aus der Unterführung auf der Karl-Lehr-Straße. geht es über die Rampe zum Güterbahnhofsgelände Foto: Petra Grünendahl.
Als nach jahrelangen Ermittlungen endlich der Strafprozess eröffnet worden war, war dies für viele Verletzte und Hinterbliebene die letzte Aussicht, Antworten zu bekommen. Ihre Enttäuschung über eine Einstellung des Strafprozesses ist nachvollziehbar, denn sie lässt viele Fragen offen. Ob ein Strafprozess geeignet war, diese Fragen zu klären, bleibt dahin gestellt!

Eine Aufarbeitung der Geschehnisse hat der Prozess zumindest teilweise leisten können. Aber die Aufarbeitung ist unvollständig – und wird es nun bleiben. Diese Unvollständigkeit hätte aber auch ein abgeschlossener Prozess mit Verurteilung nicht beseitigen können. Verantwortlich für die Katastrophe waren viele, nicht alle sind jedoch strafrechtlich relevant für ihre Handlungen zur Verantwortung zu ziehen! Fehler sind an vielen Stellen gemacht worden, bei weitem nicht nur von den Angeklagten. Und auch nicht nur in der Vorbereitung, sondern auch in Form von Fehlentscheidungen am Tag der Veranstaltung vor Ort. Multikausal soll es der Gutachter Prof. Dr.-Ing. Jürgen Gerlach, Sachverständiger von der Uni Wuppertal, in seinem bislang nicht veröffentlichten Gutachten zu den vermutlichen Ursachen der Katastrophe genannt haben.

Dass das Gelände nicht geeignet war und zu viele in der Vorbereitung Personen involviert waren, aber es keine zentrale oder übergeordnete Instanz gab, bei der die Fäden zusammen liefen, kann man als Teil des Ursachenkomplexes aus der Verhandlung mitnehmen. Die Veranstaltungsgenehmigung? Gab es nicht. Nur eine Baugenehmigung, die wichtige Aspekte außer Acht ließ – oder vielleicht lassen musste? Wer Probleme sah, meinte nur Schulter zuckend: „Ist nicht meine Baustelle!“, wie in so mancher Zeugenaussage zu hören war.

 

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Strafrecht kann der Verantwortung nicht gerecht werden!

Die neu gestaltete Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade 2010 ist fertig: Püntlich kurz vor dem dritten Jahrestag. Foto: Petra Grünendahl.
Das Thema „Schuld“ ist hier wohl auch eher nicht mit dem Strafrecht zu messen. Der Ort war ungeeignet, aber wem will man hierfür die Schuld konkret anlasten. Es fehlte ein geeignetes Sicherheitskonzept, Aine „Veranstaltungsgenehmigung“ war nicht nötig, weil die Techno-Sause – mit hunderttausenden Besuchern! – auf einem Privatgelände stattfand, so dass eine Baugenehmigung (vorübergehende Nutzungsänderung) rechtlich gesehen völlig ausreichte. Hier wären neue Rechtsgrundlagen für solche Veranstaltungen gefordert.

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Wirkliche Aufklärung hätte hier wohl nur ein richtiger (und ergebnisoffener) Untersuchungsausschuss leisten können, da er nicht auf strafrechtliche Relevanz von Schuld beschränkt gewesen wäre. Er hätte klären können, wo Fehler passiert sind und welche Verantwortlichkeit welche Personen / Personenkreise dafür hatten. Diese Verantwortlichkeit mit dem Strafrecht ahnden zu wollen, war von Anfang an ein unmögliches Unterfangen, saßen doch auf der Anklagebank nicht die, denen man mit dem gesunden Menschenverstand ein gewisses Maß an Verantwortung für die Umstände annehmen konnte, die schlussendlich zur Katastrophe geführt haben.

Der Strafprozess war der letzte Strohhalm einer Aufklärung. Das Dilemma einer Aufarbeitung vor Gericht: Was nötig gewesen wäre, war schon mit Prozessbeginn lange versäumt worden. Es wäre direkt nach der Katastrophe der Loveparade 2010 nötig gewesen: Die Verantwortung jenseits der Schuld im strafrechtlichen Sinne klären zu wollen. Um die Klärung dieser Verantwortung als Ursache für die Katastrophe haben sich aber alle gedrückt!

 
© 2020 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl (3), Lars Heidrich / Funke Foto Services (1)

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