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Lesetipp: „Die Ruhr und ihr Gebiet“ von der Brost-Stiftung

Jahrhunderte spannender Entwicklungen in Geschichten und Bildern
Von Petra Grünendahl

Die inszenierte Ruhrquelle bei Winterberg im Sauerland 2020. Aufnahme von Martin Schlauch. Foto: Petra Grünendahl.
Die Ruhr steht Namen gebend für das Ruhrgebiet, welches sie im Süden durchzieht: Sie verbindet auf 219 km Länge das Sauerland / Westfalen mit Duisburg und dem Rheinland. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts bildete sich in dem ehemals ländlichen Raum ausgehend von den Steinkohlefunden an der Ruhr ein Ballungsgebiet bis zur Lippe, das von Bergbau und Hüttenindustrie geprägt wurde. Diese Region zwischen Ruhr und Lippe, Moers und Hamm meint man heute mit der Bezeichnung Ruhrgebiet (und klammert den sauerländischen Flusslauf aus): Genau genommen müsste man sie aber eher als Emschergebiet bezeichnen, denn hier im Norden hatte sich die Wandlung zur Industrieregion, die man mit dem Ruhrgebiet assoziiert, tatsächlich vollzogen. Die Region wurde zum Herzstück der Industrie im Deutschen Reich, der Bundesrepublik Deutschland und Europas. Die Schiffbarmachung der Ruhr 1776-1780 ermöglichte, den Fluss als Transportweg insbesondere für den im 19. Jahrhundert entlang der Ruhr entstehenden Bergbau zu nutzen. Die Wirtschaftsinteressen der Region standen dabei im Vordergrund.

 

Im Schuber: „Die Ruhr und ihr Gebiet“ gibt es nur im Doppelpack. Foto: Petra Grünendahl.
Viele Bücher sind schon über das Ruhrgebiet entstanden. Dass nun ein neues erschienen ist, zeigt zum einen, wie vielfältig, und zum anderen, wie sehr die Region im Wandel ist. Mit dem Werk „Die Ruhr und ihr Gebiet“ (zwei Bände im Schuber) zeigt die Brost-Stiftung (Herausgeber) in Kooperation mit der Stiftung Geschichte des Ruhrgebiets einmal mehr, dass Region immer noch nicht (und das wird sie vielleicht niemals) erschöpfend und final dargestellt wurde. Zu den vielen Facetten der Region kommt der stetige Wandel, dessen andauernde Dynamik seine einzige Konstante ist. „Das Ruhrgebiet war nie eine Insel. Das industrielle Herz Europas war vielfach verzahnt mit dem ganzen Kontinent“, so Bodo Hombach, Vorstandsvorsitzender der Brost-Stiftung Essen, als Herausgeber im Vorwort. „’Wir im Revier’“, so schreibt Hombach, der in seiner Geburtsstadt Mülheim an der Ruhr lebt, „erdet Eskapaden und Höhenflüge.“ Die Bodenständigkeit des Ruhris steht nicht im Widerspruch zur Globalisierung, ist doch die Region Erdung und Identität. Unter dem Motto „Leben am und mit dem Fluss“ bieten 24 Autoren auf über 800 Seiten vielfältigen Lesestoff, der viele Facetten der Region beleuchtet: Von wissenschaftlichen Beiträgen und Dokumentationen über Interviews bis hin zu Reportagen und Erzählungen. Zeitlich erkunden die Beiträge eine Spanne zwischen dem frühen 19. Jahrhundert und der Gegenwart. Schwerpunkt ist der untere Lauf der Ruhr (ab der Lenne-Mündung bei Hagen), der durchs Ruhrgebiet läuft. Einige Beiträge im ersten Band thematisieren jedoch auch Entwicklungen an Mittel- und Oberruhr.

 

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Das Ruhrgebiet: die Industrieregion

Der Verlauf der Ruhr. Foto: Petra Grünendahl.
Bis zur Industrialisierung, die massiv in ihrer Hochphase ab der Mitte des 19. Jahrhunderts voran getrieben wurde, war das Ruhrgebiet und das Land entlang der Ruhr eine intensiv landwirtschaftlich genutzte Fläche. Und zumindest zu Beginn des industriellen Wandels konnten Ertragssteigerungen in der Landwirtschaft auch den Nahrungsmittelverbrauch der stetig wachsenden Bevölkerung im Ruhrrevier decken. Die Anfänge der Industrialisierung wären ohne die landwirtschaftlichen Strukturen gar nicht möglich gewesen. Der Existenzkampf um Flächennutzungen wurde (und ist bis heute) existenziell. Die Nähe von Erzeugern und Verbrauchern hat aber auch Vorteile – für beide Seiten. Interessen von Wirtschaft und Umweltschutz standen und stehen dabei nicht immer in einem Gegensatz. Und mittlerweile ist Umweltschutz zu einem wichtigen Wirtschaftsfaktor entlang der Ruhr avanciert. Aufstieg und Niedergang der Schwerindustrie prägten und prägen Stadtentwicklung und Konzepte neuer Flächen- und Bevölkerungs-/Wohnraumentwicklung.

 

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Rauchende Schlote im Ruhrgebiet. Aufnahme von Werner Cramer, 1930er-Jahre in Fotoarchiv des Ruhrmuseums. Foto: Petra Grünendahl.
Als der Bergbau nach Norden in Richtung Emscher und Lippe wanderte und sich die Eisenbahn als Konkurrenz etablierte, stellte man auf der Ruhr 1890 die Transportschifffahrt ein. Aus dem früheren reinen Transportweg einer Industrieregion, der über 100 Jahre einer der am stärksten befahrenen Wasserstraßen Deutschlands war, konnte schließlich ab 2000 ein naturnahes Fluss- und Auengebiet werden, nachdem die EU eine „Wasserrahmenrichtlinie“ beschlossen hatte. Im Norden, an der Emscher, erlebte dann die Schwerindustrie ihre Blüte, als man an der Ruhr schon anfing, die unhaltbaren hygienischen Zustände aus früher Industrialisierung und Bevölkerungswachstum zu beseitigen. Der Kohlebergbau an der Ruhr endete jedoch erst 1973 mit der Stilllegung der Zeche Carl Funke am Baldeneysee. Heute erinnert dort wenig an die frühere bergbauliche und industrielle Nutzung. Der Strukturwandel und die Renaturierung des Wasserlaufs eröffnete Möglichkeiten als Natur- und Wirtschaftsraum, Wohn- und Kulturraum, für Industrie und Verkehr, Wasserwirtschaft, Sport und Freizeit. Er stellte die Region aber auch vor wirtschaftliche und soziale Herausforderungen. Der Rückbesinnung auf den Fluss als Ort der Identitäts- und Bewusstseinsbildung will sich das Buchprojekt in einen regionalen Kontext einfügen, die post-industrielle Identität zu schärfen und zu stärken. Die multiperspektivische Annäherung des Buches an die Region im Wandel macht ihre vielfältigen Facetten gleichwertig erlebbar.

 

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Das Buchprojekt

Im Schuber: „Die Ruhr und ihr Gebiet“ gibt es nur im Doppelpack. Foto: Petra Grünendahl.
Im ersten Band liegen die inhaltlichen Schwerpunkte auf den Gebieten Natur, Naturwirtschaft, Wohnraum und Kultur mehr auf dem gesamten Lauf der Ruhr zwischen Quelle bei Winterberg im Sauerland und Mündung in den Rhein in Duisburg. Der zweite Band beschäftigt sich mit Industrie, Verkehr, Wasserwirtschaft, Sport und Freizeit mehr mit der Beziehung des Flusses zum Ruhrgebiet. Facettenreich tauchen sie ein in Geschichten und Geschichte und fördern überraschende neue und mitunter auch kritische Aspekte zu Tage, die man auch dann nicht unbedingt kennt, wenn man sich viel mit dem Ruhrgebiet beschäftigt.

Das vielfältig gestaltete und spannend gemachte Buchprojekt hat sowohl für Einsteiger als auch für profunde Kenner des Ruhrgebiets viel zu bieten. Es ist sehr textlastig angelegt, mit vielen Informationen, Erzählungen und Geschichten, aber auch ganz hervorragend ergänzt mit Fotografien und historischen Ansichten, aussagekräftigen Karten, Illustrationen und Tabellen.

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Das Werk „Die Ruhr und ihr Gebiet“ (Untertitel: Leben am und mit dem Fluss) ist nur komplett mit zwei Bänden im Schuber erhältlich. Die Bände im Format 21 x 27 cm sind gebunden mit 420 bzw. 408 Seiten. Erhältlich ist das im Aschendorff Verlag, Münster, erschienene Werk im lokalen Buchhandel (ISBN 978-3-402-24640-5) für 39,90 Euro.

 
Blicke ins Buch. Fotos von Petra Grünendahl

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© 2021 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

 

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