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Ruhrgebiets-IHKs: Konjunkturbericht zeigt, was Wirtschaft sorgt

Wirtschaft im Ruhrgebiet sucht Perspektive
Von Petra Grünendahl

Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs im Online-Pressegespräch. Foto: Screenshot.
„Die Politik sollte Unternehmen keine Tag länger geschlossen halten, als es für Gesundheit der Bevölkerung notwendig ist“, erklärte Lars Baumgürtel, Vizepräsident der IHK Nord Westfalen, Geschäftsführer der ZINQ GmbH & Co. KG, Gelsenkirchen. „Die Ruhrwirtschaft tritt auf der Stelle und droht in eine gefährliche Schieflage zu kippen“, resümierte er. Das Eigenkapital sei gerade in besonders betroffenen Branchen und bei Solo-Selbstständigen vielfach aufgebraucht, Liquiditätsengpässe drohten ebenso wie schlussendlich die Insolvenz. Dabei zeichnete der Unternehmer aus Gelsenkirchen ein differenziertes Bild von der Lage der Wirtschaft. Denn, so sein zweiter Befund: „Die Spaltung der Wirtschaft durch Corona verfestigt sich mit jedem weiteren Tag im Lockdown.“ Die geringen Hoffnungen auf Besserung ruhen dabei vor allem auf der Industrie. Handel und Dienstleistungen, so sie vom Lockdown direkt oder indirekt betroffen sind, leiden massiv. „Unsere Hotline zur Corona-Hilfe hat sich zum Sorgentelefon entwickelt“, berichtete Stefan Schreiber, Hauptgeschäftsführer der IHK Dortmund. Eine Perspektive zur Öffnung aus dem Lockdown sei zwingend nötig, so die Interessenvertreter der Wirtschaft.

 

Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs. Quelle: IHKs im Ruhrgebiet.
Den 106. Konjunkturbericht Ruhrgebiet stellte die federführende IHK Nord Westfalen (mit Standorten in Münster und Gelsenkirchen / Emscher-Lippe) im Online-Pressegespräch vor. Rede und Antwort standen IHK-Vizepräsident Lars Baumgarten und Hauptgeschäftsführer Dr. Fritz Jaeckel (beide IHK Nord Westfalen), Dr. Gerald Püchel (IHK Essen, Mülheim an der Ruhr, Oberhausen) und Stefan Schreiber (IHK Dortmund). Von der Krise würden zunehmend auch Unternehmen erfasst, die von den vom Lockdown direkt betroffenen Branchen abhängig sind, ergaben die Umfragen. Der IHK-Konjunkturklimaindikator, der die aktuelle wirtschaftliche Lage und die Erwartungen der Unternehmen in einem Wert zusammenfasst, ist zum Jahresbeginn gegenüber der Herbstumfrage 2020 zwar um knapp zwei Punkte gestiegen, bleibt mit 98 Punkten aber deutlich unter dem langjährigen Durchschnitt von 115.

 

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Strukturwandel ist live zu beobachten

Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs. Quelle: IHKs im Ruhrgebiet.
„Die Ökonomen streiten sich: Ist der Lockdown so weiter tragbar? Industrie ist noch gut ausgelastet, gerade in Europa. Die Lieferketten funktionieren. Auch am Bau sind die Tätigkeiten lebhaft. Unter dem Lockdown leiden vor allem Handel und Dienstleistungen“, erklärte Dr. Fritz Jaeckel, Hauptgeschäftsführer der IHK Nord Westfalen. „Was uns Sorgen macht, ist die fehlende Öffnungsperspektive für eine realistischen Planung: Reise, Gastronomie, personenbezogene Dienstleistungen und der Handel brauchen einen Anlauf. Da gibt es Konzepte, die haben gezeigt: Das funktioniert. Das verschafft Unternehmen ein Geschäft, um Miete und Löhne zu bezahlen. Das gibt zwar kein Einkommen, aber es hält den Laden am Laufen. Wir könnten uns angesichts sinkender Inzidenzwerte aber mehr zutrauen.“ Sonst, so warnte er, wird ein großer Teil der Unternehmen diese Phase nicht überleben: „Sie geben ihr Geschäft auf, weil sie nicht mehr die Kraft haben, an den Markt zurück zu kommen.“ Und: „Wir werden uns auf immer wiederkehrende Infektionsherde einrichten müssen, aber man ist überall in der Wirtschaft verantwortlich mit Maßnahen umgegangen.“ Lars Baumgürtel betonte: „Auch für uns Unternehmen sind gesunde Mitarbeiter wichtig!“

 

Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs. Quelle: IHKs im Ruhrgebiet.
„Unternehmen brauchen Perspektiven. Der industrielle Kern ist ja keine Insel: Wir sitzen da als Wirtschaft mit Industrie und Dienstleistern mittel- bis langfristig alle in einem Boot. Das Wegbrachen von Handwerk und Dienstleistern hätte auch für uns Konsequenzen“, so der Gelsenkirchener Unternehmer. „Aktuell kämpfen viele Unternehmen im Ruhrgebiet unverschuldet ums Überleben“, verdeutlichte Baumgürtel, was hinter den Zahlen steckt. Eine Gruppe von Unternehmen habe Einschränkungen hinnehmen oder ganz schließen müssen, um die Bevölkerung zu schützen. „Das Lebenswerk vieler Unternehmer und ihre Altersvorsorge sind akut und sehr konkret von Vernichtung bedroht“, so Baumgürtel. Er appellierte an die Politik, die Unternehmen keinen Tag länger geschlossen zu halten, als dies für den Gesundheitsschutz der Bevölkerung zwingend erforderlich ist.

 

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Betroffen seien das Gastgewerbe und der innerstädtische Einzelhandel beispielsweise mit Textilien, Bekleidung und Schuhen. „Der Strukturwandel ist hier live zu beobachten, genau wie der Wandel der Strukturen in den Innenstädten“, kommentierte Baumgürtel insbesondere die Verlagerung zum Online-Handel. Zum Teil noch stärker betroffen seien die so genannten persönlichen Dienstleistungen wie die Reisewirtschaft, die Veranstaltungsbranche sowie Kulturschaffende und beispielsweise Fitness-Studios. Ebenso die vielen Solo-Selbstständigen, betonte Baumgürtel und forderte Respekt ihnen gegenüber: „Sie haben immer für sich selbst gesorgt und sich ihren Arbeitsplatz selbst geschaffen.“

 

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Potenziale voran treiben

Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs. Quelle: IHKs im Ruhrgebiet.
Vergleichsweise gut sieht es aktuell in einigen Bereichen der Industrie aus: Lieferketten stehen, mitunter lässt allerdings die Nachfrage (noch) etwas zu wünschen übrig. Fast ein Viertel der Unternehmen insgesamt berichtet von Eigenkapital-Rückgängen, knapp 17 Prozent von Liquiditätsengpässen. Die höchsten Anteile haben hier das Gastgewerbe (60 bzw. 55 Prozent) und die personenbezogenen Dienstleister (57 bzw. 41 Prozent). Auch hier liefert die Industrie die besten Zahlen: Nur etwas über neun Prozent haben Liquiditätsengpässe. Die finanziellen Verhältnisse spiegeln sich auch in der Personalplanung wider. „Flankiert durch die massive Inanspruchnahme der Kurzarbeiterregelung stehen in vielen Branchen die Zeichen mehrheitlich noch auf Halten des Fachpersonals“, fasste Baumgürtel die Antworten der Unternehmen zusammen. Zwei Drittel planen mit einem gleichbleibenden Beschäftigtenstand. Allerdings nicht im Gastgewerbe und bei den personenbezogenen Dienstleistern im Ruhrgebiet, wo nach den Ergebnissen der Umfrage der IHKs im Ruhrgebiet in den nächsten Monaten mit größerem Personalabbau zu rechnen sein wird.

 

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Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs. Quelle: IHKs im Ruhrgebiet.
Wachstumspotenziale sieht Baumgarten im Ruhrgebiet vor allem für die IT-Branche und in der Digitalisierung: „Wir haben eine gute Infrastruktur, hoffnungsvolle Start-ups und eine aktive Gründerszene. Wir können mit IT-Sicherheit ebenso punkten wie mit Forschung und Lehre an unseren Universitäten. Wir haben entsprechend ausgebildete Fachkräfte, brauchen aber auch – gerade auch in Coronazeiten – Konzepte und Ideen für die Ausbildung (mit und ohne Studium!), um die Fachkräfte auszubilden, die hoch spezialisierte Aufgaben übernehmen können. Natürlich setzen wir dabei auch auf die Duale Berufsausbildung, brauchen aber zusätzlich entsprechende Weiterbildung, die wir von den IHKs entwickeln und anbieten müssen.“

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Konjunkturumfrage der Ruhr IHKs. Quelle: IHKs im Ruhrgebiet.
Auch beim Thema Wasserstoff sieht der IHK-Vizepräsident das Ruhrgebiet gut und zukunftsfähig aufgestellt: „Wir waren immer Energie-Region und Wasserstoff ist ein Zukunftsmodell. Das Ruhrgebiet ist im Wasserstoff die führende Region mit besten Ausgangsbedingungen für Wasserstoff und Wasserstoff-Technologie. Wir haben die nötige Infrastruktur, auch in der Anwendung. Wasserstoff ist nicht nur für die Großindustrie ein Thema, z. B. in der Stahlproduktion, sondern auch Mittelstand bei den Maschinen- und Anlagenbauern. Und: Wasserstoff als Beitrag zum Klimaschutz“, so Baumgürtel. „Wir sind ein attraktiver Standort für Unternehmen mit unserem Wasserstoff-Cluster, aber: wir brauchen mehr Gewerbeflächen, um solche Unternehmen ansiedeln zu können.“

 

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Konjunkturumfrage der IHKs im Ruhrgebiet

Die Niederrheinische IHK an der Mercatorstaße. Foto: Petra Grünendahl.
Die IHKs im Ruhrgebiet haben fast 1.000 Unternehmen mit insgesamt 140.000 Beschäftigten unter anderem gefragt, wie sie ihre gegenwärtige wirtschaftliche Lage beurteilen, ob sie von Insolvenz bedroht sind und mit welcher Geschäftsentwicklung sie in den kommenden Monaten rechnen. Die Ergebnisse ähneln denen des Rheinischen Wirtschaftsberichts, den die diesmal hier federführende Niederrheinische IHK Duisburg gerade (hier …) vorgestellt hatte. Die Unternehmen im hiesigen IHK-Bezirk haben auch zum Ruhrlagebericht beigetragen.

Mehr zum 106. Konjunkturbericht der IHKs im Ruhrgebiet findet man hier: https://www.ihks-im-ruhrgebiet.de/presse/konjunkturbericht-jahresanfang-2021-5033346.

 
© 2021 Petra Grünendahl (Text und Fotos)

 

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