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Beuys und Lehmbruck „Alles ist Skulptur“ im Lehmbruck Museum Duisburg

Porträt Joseph Beuys documenta archiv (Foto: Dieter Schwertle) und Wilhelm Lehmbruck, Kopf eines Denkers. Foto: Collage.
Ist Joseph Beuys ein Romantiker, ist er ein Schamane, ein Heiler, ein Weltverbesserer und politischer Aktivist, der nicht nur die Kunst, sondern die Gesellschaft als Ganzes verändert hat? Eine Skulptur von Wilhelm Lehmbruck, die er als junger Mann sieht, wird zu einem Schlüsselerlebnis. Beide Künstler, Lehmbruck und Beuys, sind überzeugt, dass Kunst die Kraft hat, nicht nur die Welt zu erklären, sondern sie zum Besseren zu verändern. Unter dem Leitspruch „Alles ist Skulptur” widmet sich die Ausstellung im Duisburger Lehmbruck Museum der besonderen Beziehung zweier der bedeutendsten deutschen Künstler des 20. Jahrhunderts.

Für Lehmbruck wie für Beuys gilt: „Alles ist Skulptur.“ Und: Skulptur ist das Mittel der Transformation, des Übergangs von einem Zustand in den anderen. Dem Werk beider Künstler, die am Niederrhein geboren sind und an der Kunstakademie in Düsseldorf Bildhauerei studiert haben, ist eine tragische Komponente eigen: Die Kriegserfahrung hat deutliche Spuren im Werk beider Künstler hinterlassen. Vielleicht sind es die Spuren dieser existentiellen Erfahrung, die Joseph Beuys spürte, als er zum ersten Mal die Abbildung einer Skulptur von Lehmbruck sah, die einen so tiefen Eindruck hinterließ, dass er daraufhin beschloss, Bildhauer zu werden.

Joseph Beuys bei der Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises am 12. Januar 1986, Foto: Britta Lauer.
Am Beginn seiner heute legendären Rede im Lehmbruck Museum im Januar 1986 zur Verleihung des Wilhelm-Lehmbruck-Preises sagte Joseph Beuys zur Überraschung Vieler: „Ich möchte meinem Lehrer Wilhelm Lehmbruck danken“. Obwohl es bekanntlich nie ein akademisches Lehrer-Schüler-Verhältnis gegeben hat (Lehmbruck starb bereits 1919, Beuys wurde erst 1921 geboren), spricht Beuys von einer tiefen Beziehung, von einem „Grunderlebnis“, das er hatte, als er die Abbildung des Werkes Wilhelm Lehmbrucks sah. Für Beuys, der sich ansonsten nur sehr selten zu den Arbeiten anderer Künstler*innen äußerte, besitzt das Werk Lehmbrucks in seiner Wirkkraft eine Alleinstellung; „Wäre denn irgendein anderer Bildhauer, irgendein Hans Arp oder Picasso oder Giacometti oder irgendein Rodin, wäre eine Photographie von Rodin, wenn sie mir seinerzeit in die Hände gefallen wäre, fähig gewesen, diese Entscheidung (Bildhauer zu werden, Anm. d. Verf.) in mir herbeizuführen?”

Wilhelm Lehmbruck im Züricher Atelier vor seinem „Porträtkopf Fritz von Unruh”, 1918. Fotograf: unbekannt.
„Skulptur ist das Wesen der Dinge, das Wesen der Natur, das, was ewig menschlich ist”, diese Einsicht Lehmbrucks nahm Beuys schließlich zum Ausgangspunkt seiner Sozialen Plastik – einer Idee, mit der er die Kunst des 20. Jahrhunderts revolutionierte. Das plastische Gestalten – das Kunst Machen – bezieht sich von nun an nicht mehr vor allem auf das Formen von Material, sondern auf das Formen von Ideen, auf das Formen des sozialen Gefüges in seiner Gesamtheit. Diesem in die Zukunft ausgerichteten Impuls folgt die Duisburger Ausstellung, in der wichtige Werke beider Jahrhundertkünstler präsentiert werden. Darunter von Joseph Beuys die Hirschdenkmäler (1958/1982), das Elferzimmer (11 Schafsköpfe) (1961-1975), die raumgreifende Installation Ohne Titel (Munitionskiste und Fichtenstamm) (1971) sowie das Feldbett (1982). Erstmalig werden die Werke beider Bildhauer so umfassend präsentiert und miteinander in Dialog gesetzt.

 

Ausstellungsansicht „Lehmbruck – Beuys. Alles ist Skulptur” Joseph Beuys Estate. Foto: Frank Vinken.
Parallel zur Duisburger Ausstellung zeigt die Bundeskunsthalle in Bonn vom 25. Juni bis 1. November 2021 die Ausstellung „Beuys – Lehmbruck. Denken ist Plastik”. Die Ausstellung versammelt eine Reihe von Schlüsselwerken Beuys‘ und richtet den Blick gleichzeitig auf die wichtigsten Skulpturen Lehmbrucks. Dabei sucht sie nicht nach formaler oder stilistischer Nähe, sondern rückt zentrale Fragen in den Fokus: Was macht den Menschen in seinem Wesen aus? Und: Welches revolutionäre Potenzial birgt die Kunst in ihrem jeweiligen zeitlichen Kontext?

Begleitend zu den Ausstellungen in Duisburg und Bonn erscheint ein Katalog mit Texten von Dr. Söke Dinkla, Johanna Adam, Jessica Keilholz-Busch, Norman Rosenthal und Inke Maria Hahnen, 240 Seiten, 175 z. T. farbige Abbildungen, im Verlag Hatje Cantz (Buchhandelspreis 48 Euro). Der Katalog ist zum Preis von 29 Euro an der Museumskasse erhältlich.

Vergünstigter Eintritt beim Besuch beider Ausstellungen

Ausstellungsansicht „Lehmbruck – Beuys. Alles ist Skulptur” Joseph Beuys Estate. Foto: Frank Vinken.
Beide Ausstellungen sind als gemeinsames Projekt Teil des umfangreichen Programms zum Jubiläumsjahr „beuys 2021. 100 jahre joseph beuys“, einem Projekt des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen in Zusammenarbeit mit der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf unter der künstlerischen Leitung von Prof. Dr. Eugen Blume und Dr. Catherine Nichols. Schirmherr ist Ministerpräsident Armin Laschet.

Bei Vorlage eines Tickets (oder einer Jahreskarte) der jeweiligen anderen Station erhalten Besucher*innen 20 Prozent Rabatt auf die reguläre Tageskarte.

 

Kurzbiografie Wilhelm Lehmbruck

Das Lehmbruck Museum mit neuem Corporate Design: der Kopf der Knieenden. Foto: Petra Grünendahl.
Wilhelm Lehmbruck wird am 4. Januar 1881 in Meiderich geboren. Schon in der Schule zeigt sich die künstlerische Begabung des jungen Lehmbruck, so dass er bald an die Kunstgewerbeschule nach Düsseldorf wechseln kann.

Einen ersten künstlerischen Erfolg verbucht der junge Bildhauer im Jahre 1906, als er mit seiner Plastik Badende auf der Deutschen Kunstausstellung in Köln vertreten ist. Im darauffolgenden Jahr stellt der Pariser Salon de Société Nationale des Beaux Arts vier seiner Werke aus. Nach mehreren Ausstellungsbeteiligungen beschließt Lehmbruck, mit seiner Frau Anita und seinem Sohn Gustav nach Paris zu ziehen. Um 1910 beginnt Lehmbruck an überlebensgroßen Plastiken zu arbeiten, was sich unter anderem in seinen (Haupt-)Werken Stehende weibliche Figur und Kniende widerspiegelt. In den darauffolgenden Jahren ist Lehmbruck immer wieder auf Ausstellungen in Deutschland und Frankreich präsent. 1913 entstehen zwei weitere Hauptwerke: Die Große Sinnende und der Emporsteigende Jüngling. Ein großer Erfolg gelingt ihm mit der Teilnahme an der Armory Show in den Vereinigten Staaten. Im gleichen Jahr wird sein Sohn Manfred geboren. Seine erste Einzelausstellung hat Lehmbruck 1914 in der Pariser Galerie Levesque.

Wilhelm Lehmbruck: „Der Gestürzte“ (vorne) und „Der Jüngling“ (hinten). Foto: Petra Grünendahl.
Kurze Zeit später bricht der Erste Weltkrieg aus und die Familie muss nach Deutschland zurückkehren. Nach einem kurzen Aufenthalt in Köln bezieht Lehmbruck mit seiner Frau und den Kindern ein neues Atelier in Berlin. Vom Einsatz an der Front bleibt Lehmbruck verschont. Schrecken und Verzweiflung, die der Krieg in den Menschen auslöst, bestimmen dennoch fortan sein Wirken: Er verarbeitet seine Eindrücke in Werken wie dem Sitzenden Jüngling oder dem Gestürzten. 1916 präsentiert Lehmbruck seine Werke in einer umfassenden Einzelausstellung in Mannheim. Es bleibt die einzige monografische Ausstellung Lehmbrucks in Deutschland zu seinen Lebzeiten. Anschließend reist die Familie in die Schweiz, um dort auf das Ende des Krieges zu warten.

Auf neutralem Boden lernt er zahlreiche emigrierte Schriftsteller kennen. Durch den Dichter Albert Ehrenstein kommt er in Kontakt mit Elisabeth Bergner, die ihm Modell steht. Er verliebt sich in sie, doch seine Gefühle bleiben unerwidert. Durch die unglückliche Liebe, gesundheitliche Beschwerden und den andauernden Krieg verschlechtert sich sein seelischer Zustand. Sein künstlerischer Erfolg bleibt davon jedoch unbelastet. Mit seinen Plastiken Kopf eines Denkers, dem Weiblichen Torso und der Betenden tritt Lehmbruck nochmals in eine neue Schaffensperiode ein. Nach dem Krieg, 1919, kehrt Lehmbruck für einen Auftrag nach Berlin zurück – es sollte sein letzter Auftrag sein. Die Auftraggeberin Baby Friedlaender-Fuld lehnt die Büste Lehmbrucks ab und verweigert die Bezahlung. Er nimmt sich mit 38 Jahren das Leben.

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Kurzbiografie Joseph Beuys

Joseph Beuys, Incontro con Beuys I, 1974, MKM Sammlung Ströher. © Joseph Beuys Estate Foto: H. Krause.
Joseph Beuys wird am 12. Mai 1921 in Krefeld geboren. 1941 meldet er sich zur Luftwaffe und verpflichtet sich für 12 Jahre als Berufssoldat. 1944 überlebt er schwer verletzt den Absturz seines Flugzeuges über der Krim. Die Eindrücke der lebensbedrohenden Fronteinsätze prägen ihn und sein künstlerisches Schaffen nachhaltig.

Beuys studiert an der Staatlichen Kunstakademie Düsseldorf von 1947 bis 1952 bei Josef Enseling und anschließend bei Ewald Mataré, dessen Meisterschüler er von 1952 bis 1954 wird. Von 1955 bis 1956 durchlebt Joseph Beuys eine schwere persönliche Krise. Zur Genesung von anhaltenden Depressionen hält er sich länger bei der Familie van der Grinten in Kranenburg auf und arbeitet auf deren Hof. Gleichzeitig beschäftigt er sich intensiv mit naturwissenschaftlichen Schriften aus allen Bereichen, mit Texten von Novalis, Rudolf Steiner und James Joyce sowie kunsthistorischen Abhandlungen. Allmählich bildet sich bei Joseph Beuys ein neuer Kunstbegriff heraus, wonach Kunst und Leben eine Einheit bilden und sich gegenseitig durchdringen und erhellen sollen. Er formuliert darauf aufbauend seine Theorien des erweiterten Kunstbegriffs und der Sozialen Plastik.

1961 wird Beuys zum Professor für monumentale Bildhauerei an der Düsseldorfer Kunstakademie berufen. Zahlreiche Fluxus- und Happening-Veranstaltungen sowie Vorträge bringen eine große Publizität mit sich, aber auch starke Kritik, die Beuys immer wieder zu entkräften sucht. 1972 kommt es an der Düsseldorfer Akademie zum Eklat, da Beuys alle von der Akademie abgewiesenen Studierenden in seine Klasse aufnimmt, woraufhin er entlassen wird. Er behält sein Atelier in Raum 3 und gründet dort mit Klaus Staeck, Georg Meistermann und Willi Bongard die Freie internationale Hochschule für Kreativität und interdisziplinäre Forschung e.V. 1979 erhält er den renommierten Kaiserring der Stadt Goslar und 1986 – eine Woche vor seinem Tod – den Wilhelm-Lehmbruck-Preis der Stadt Duisburg.

Mit seinen Aktionen und Kunstwerken zielt Beuys auf grundsätzliche Sinnfragen und die Kernfrage, wie die Kunst in der heutigen Industriegesellschaft wirken kann und welche neuen Aufgaben ihr zukommen. Mit den immer wieder verwendeten Materialien, vor allem Filz, Fett und Honig, will Joseph Beuys den Symbolwert des Materials betonen. Er schafft ein gewaltiges künstlerisches Oeuvre, das alle herkömmlichen Gattungsgrenzen sprengt: es umfasst neben den prozesshaften Kunstaktionen Rauminstallationen, plastische Werke, Aquarelle, Zeichnungen, Multiples und Schriften. Am 23. Januar 1986 stirbt Joseph Beuys.

 

 
Das Lehmbruck Museum

Das Lehmbruck Museum im Kantpark. Foto: Petra Grünendahl.
Das mitten in Duisburg im Kantpark gelegene Lehmbruck Museum ist ein Museum für Skulptur. Seine Sammlung moderner Plastiken von Künstlern wie Alberto Giacometti, Pablo Picasso, Hans Arp und natürlich Wilhelm Lehmbruck ist europaweit einzigartig. Beheimatet ist das Museum in einem eindrucksvollen Museumsbau inmitten eines Skulpturenparks, der zum Schlendern und Entdecken einlädt.

Namensgeber des Hauses ist der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, der 1881 in Meiderich, heute ein Stadtteil von Duisburg, geboren wurde. Lehmbruck ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Klassischen Moderne. Er hat mit seinem Werk maßgeblichen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen und ist auch nach seinem frühen Freitod im Jahr 1919 bis heute einflussreich geblieben.

 

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Öffnungszeiten und Eintrittspreise
Die Ausstellung „Alles ist Skulptur“ mit Werken von Beuys und Lehmbruck wird bis zum 1. November zu sehen sein. Geöffnet ist das Lehmbruck Museum üblicherweise dienstags bis freitags ab 12 Uhr, samstags und sonntags ab 11 Uhr. Die Öffnungszeiten gehen bis 17 Uhr, donnerstags an Terminen der plastikBAR (erster Donnerstag im Monat ab 17.30 Uhr) bis 20 Uhr. An Feiertagen gelten ggf. besondere Öffnungszeiten. Regulär kostet der Eintritt 9 Euro (ermäßigt* 5 Euro), eine Jahreskarte 35 Euro (ermäßigt* 20 Euro). Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre in Begleitung von Angehörigen sowie Blinden- und Demenzbegleitung haben kostenlos Eintritt. Schulklassen und Kindergärten zahlen pro Person 2 Euro (gilt nur für Selbstführergruppen), eine Familienkarte (2 Erwachsene plus Kinder bis 14 Jahre) gibt es für 15 Euro. Jeden ersten Freitag im Monat gilt: „Pay what you want“. Ausgenommen davon sind angemeldete Gruppen.

Zu seinen Sonderausstellungen bietet das Lehmbruck Museum verschiedene Veranstaltungen als Rahmenprogramm an. Öffentliche Führungen durch das Museum gibt es jeden Sonntag um 11.30 Uhr. Für Informationen steht die Kunstvermittlung des Lehmbruck Museums unter Telefon 0203 / 283-2195 oder eMail kunstvermittlung@lehmbruckmuseum.de zur Verfügung (Zu Preisen und Buchungen für Führungen geht es hier).

 
Wegen Corona gelten folgende Regelungen: Für Führungen und Veranstaltungen aus dem Rahmenprogramm sind aktuell grundsätzlich Anmeldungen erforderlich. Die Veranstaltungen finden vorbehaltlich eventueller Veränderungen aufgrund der Corona-Pandemie statt. Es kann zu kurzfristigen Anpassungen kommen. Außerdem ist die Anzahl der Besucher im Museum begrenzt: Auf aktuell 100 im Wechselausstellungsbereich sowie 300 im gesamten Museum: Es kann zu Wartezeiten kommen, falls diese Anzahl erreicht ist. Siehe auch: https://lehmbruckmuseum.de/update-coronavirus/.

(*) Ermäßigung erhalten gebuchte Gruppen, Selbstführer ab 20 Personen, Menschen mit Behinderung (ab 70%), Schüler & Studenten, Wehr- & Zivildienstleistende sowie Menschen mit Sozialhilfebezug.
Lehmbruck Museum
Fotos: Petra Grünendahl (3), Frank Vinken (2), Britta Lauer (1), H. Krause (1), Dieter Schwertle (1), unbekannt (1)

 

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