Als Boycott und Widerstand gegen die Besatzer das Ruhrgebiet einteVon Petra Grünendahl
Am 11. Januar 1923 marschierten belgische und französische Besatzungstruppen im Ruhrgebiet ein. Nach Düsseldorf, Duisburg und dem Ruhrorter Hafen 2021 bekamen diese nun das ganze Ruhrgebiet unter ihre Kontrolle, nachdem Deutschland seine Reparationspflichten aus dem Versailler Vertrag nicht erfüllte. Da sich die Ruhrindustrie geweigert hatte, die im Versailler Vertrag vereinbarte Kohle zu lieferern, wollten die Besatzer Druck ausüben: Ein Krieg um Ressourcen. Natürlich stießen sie auch auf Widerstand in der Bevölkerung. Die Eisenbahn boykottierte den Abtransport der konfiszierten Kohle, Anschläge auf die Verkehrswege behinderten und verzögerten die Transporte weiter. Der Alltag der Menschen war geprägt von Verarmung, Hunger und Inflation und Arbeitslosigkeit, aber auch von sozialen und politischen Unruhen. Die Abschottung zum Deutschen Reich, Zollschranken und Lieferengpässe verursachten eine Wirtschaftskrise der Ruhrwirtschaft, die Arbeitslosenzahlen stiegen an. Man verweigerte die Zusammenarbeit mit den Besatzern und führte einen Propagandakrieg. Neben Befehlsverweigerung und passivem Widerstand kam es aber auch immer wieder zu gewalttätigen Zusammenstößen. Erst nachdem die Reparationsforderungen auf eine für Deutschland tragbare Grundlage gestellt worden waren, verließen die Besatzungstruppen im Sommer 1925 das Ruhrgebiet.
Mit dem Buch „Hände weg vom Ruhrgebiet“ legt der Klartext Verlag ein Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung im Ruhr Museum auf. Thema von Ausstelung und Buch ist – so der Untertitel – die Ruhrbesetzung 1923 – 1925. In elf Aufsätzen haben ebenso viele Autoren einzelne Aspekte der Ruhrbesetzung wissenschaftlich, aber dennoch gut lesbar näher beleuchtet und in wichtige historische Zusammenhänge eingeordnet. Über die Ausstellung hinaus vermittelt das Buch umfassend historische Begebenheiten und Hintergründe, die der Leser in interessanten, gut aufbereiteten Texten mit vielen zeitgenössischen Bilddokumenten an die Hand bekommt. Das Buch macht deutlich, wie die Ruhrbesetzung als Teil der Entwicklung und des Scheiterns der Weimarer Republik zu verstehen ist, da sie Revanchismus und Revisionsimus förderte und insbesondere von der rechten Propaganda im Vorfeld der Machtergreifung missbraucht wurde. Der erst 1920 gegründete Siedlungsverband Ruhrkohlenbezirk (heute: Regionalverband Ruhr) jedoch erfuhr durch die Besetzung ein stärkeres Zusammenrücken und Identifikation der Menschen mit der Region. Außerdem rückte sie das Ruhrgebiet, wie das rheinisch-westfälische Industrierevier nun genannt wurde, auch national stärker in den Fokus.
Von Besatzern, Widerstand und auch Versöhnung
Das Buch „Hände weg vom Ruhrgebiet“ ist das Katalogbuch zur sehenswerten gleichnamigen Ausstellung im Ruhr Museum auf der Zeche Zollverein (bis 27. August 2023). Herausgeber sind mit Heinrich Theodor Grütter, Ingo Wuttke und Andreas Zolper drei der Autoren. Inhaltlich vertieft es die Ausstellungspräsentation und vermittelt sehr lesenswert fundiertes Hintergrundwissen. Das reich bebilderte 208-seitige Werk (im Format 22 x 29 cm) ist für 24,95 Euro im Museumsshop ebenso wie im lokalen Buchhandel zu haben (ISBN 978-3-8375-2555-7).
Der Blick ins Buch. Fotos: Petra Grünendahl
Der Verlag
Der Klartext Verlag wurde 1983 gegründet, seit 2007 ist er Teil der Funke Mediengruppe. Seine Heimat liegt im Ruhrgebiet, wo auch der überwiegende Teil seiner Publikationen angesiedelt ist: Freizeitführer, Sachbücher, Kalender und Bildbände. Mit der „Von oben“-Reihe kann man Städte nicht nur im Ruhrgebiet, sondern in ganz Deutschland aus der Vogelperspektive bewundern. Und mit der Reihe „Irrtümer und Wahrheiten“ (bei ihrem Start im Verlagsprogramm hieß die Serie noch „Klugscheißer“) lernt der Leser Neues zu verschiedenen Orten, Themen und Fußballvereinen – unterhaltsam, fundiert und auch mit dem einem oder anderen Augenzwinkern.
www.klartext-verlag.de
© 2023 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl
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