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Universität Duisburg-Essen: Neue Studie beleuchtet prekäre Beschäftigung in der Landwirtschaft

Erntehelfer bei der Erdbeer-Ernte. Foto: Petra Grünendahl.
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Im Jahr 2023 wurden die knapp 400.000 deutschen Landwirte von über 240.000 Saisonarbeitskräften unterstützt – vom Spargelstechen im April bis zur Weinlese im Oktober. Die mobilen Arbeitskräfte kamen zu fast 100 Prozent aus dem osteuropäischen Ausland. Wie sich die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft seit der Coronapandemie verändert haben und ob die verstärkte Regulierung durch neue Gesetze zur Verbesserung der Situation der migrantischen Beschäftigten beiträgt, untersucht der am 16. September erschienene Report des Instituts Arbeit und Qualifikation der Universität Duisburg-Essen.

Die Saisonarbeit auf deutschen Feldern wird fast ausschließlich von osteuropäischen Wanderarbeitern geleistet. Im Zuge der Coronapandemie wurden die teilweise erheblichen Mängel bei Arbeitsbedingungen, Unterbringung und Gesundheitsschutz durch die vermehrte Berichterstattung in den Medien einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Die Politik reagierte mit verstärkter Regulierung durch Reformen und neue Gesetzesinitiativen, sowohl in Deutschland wie auch auf EU-Ebene. Inwieweit sich die Situation der mobilen Beschäftigten in der Landwirtschaft dadurch verändert hat und ob sich nachhaltige Verbesserungen zeigen, untersucht der am 16. September erschienene Report der Forschungsabteilung Prekarisierung, Regulierung, Arbeitsqualität (PreRA) am Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE).

Als zentrale Ergebnisse fassen die Wissenschaftler Dr. Georg Barthel und Dr. Conrad Lluis nach Interviews mit Saisonarbeitern und Experten sowie der Auswertung von Regulierungsprojekten und Gesetzen folgende Punkte zusammen:

Die Pandemie hat sich als Treiber für den Reformprozess der Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft erwiesen. Sowohl die deutsche Bundesregierung, insbesondere das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS), als auch die EU-Institutionen (vor allem das EU-Parlament) haben Initiativen ergriffen, um grundlegende Standards bei den Arbeitszeiten, der Entlohnung, der Sozialversicherung und der Unterbringung in der deutschen wie europäischen Landarbeit durchsetzen zu können.n. Öffentlichkeitswirksame Streiks wie der Ausstand von Erdbeerpflückern im rheinischen Bornheim (2020) waren außerdem Anlass für das deutsche und das rumänische Arbeitsministerium, sich auf die Gründung binationaler Arbeitsgruppen zur Regulierung der Saisonarbeit zu einigen. Prominentestes Ergebnis der Kooperation ist die Pflicht zur Krankenversicherung der vielfach kurzfristig, d.h. auf Minijob-Basis für bis zu 70 Tage, beschäftigten Wanderarbeitern.

Trotz weiterer Gesetzesinitiativen, vor allem der Einführung der sogenannten sozialen Konditionalität auf EU-Ebene – d. h. die Auszahlung von Subventionen an die Landwirte wird unmittelbar an die Einhaltung minimaler Arbeitsstandards geknüpft ̶ kann laut Barthel und Lluis allenfalls von partiellen Korrekturen die Rede sein. Die Arbeitsbedingungen der Saisonarbeiter charakterisieren sie weiterhin als prekär. Die Mängel umfassen u.a. Niedriglöhne, häufige Verstöße gegen Arbeitszeitgesetze, mangelhafte und überteuerte Unterkünfte, hohen Arbeitsdruck, eine oftmals unzureichende Krankenversicherung und eine nur bruchstückhafte Einbindung in die sozialen Sicherungssysteme, etwa in Hinblick auf die Möglichkeit, Rentenansprüche zu erwerben. Dazu Dr. Georg Barthel: „Neue rechtliche Regelungen bedeuten nicht, dass diese auch konsequent durchgesetzt werden. Damit Letzteres erfolgt, bedarf es regelmäßiger Kontrollen, aber auch eines funktionierenden Systems der Industriellen Beziehungen, also starker Gewerkschaften und aktiver Betriebsräte. Beides ist in der Landwirtschaft sehr schwach ausgeprägt.“

Neben der Gewerkschaft IG Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) haben sich Beratungsorganisationen wie Faire Mobilität, Arbeit und Leben oder der Europäische Verein für Wanderarbeiter (EVW) im Netzwerk „Faire Landarbeit“ zusammengeschlossen. Sichtbar ist das Netzwerk vor allem bei so genannten Feldaktionen. Dort werden Wanderarbeiter über ihre Rechte informiert und erhalten Beratungsangebote. Die seit 2022 angebotene Jahresmitgliedschaft der IG BAU speziell für Wanderarbeiter wird aber bislang kaum genutzt. Georg Barthel erklärt diesen Umstand so: „Saisonkräfte in der Landwirtschaft messen die Arbeitsbedingungen meist nicht am Lohnniveau und den Mindeststandards in Deutschland, sondern vergleichen diese mit den Gegebenheiten ihrer osteuropäischen Herkunftsländer. Folglich zeigten sich viele Befragte mit ihren Arbeitsbedingungen zufrieden. Tauchen Probleme am Arbeitsplatz auf, versuchen die Wanderarbeiter zunächst, in ihrem konkreten Fall Abhilfe zu schaffen. Sie verhandeln also direkt mit ihrem Arbeitgeber. Findet sich keine Lösung, wechseln sie eher den Arbeitsplatz als sich an eine Gewerkschaft zu wenden.“

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Der Report macht deutlich: Die tarifliche und betriebliche Interessenvertretung ist in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit weitgehend nicht existent. Dadurch fehlen entscheidende Institutionen, die nicht nur Mindeststandards, sondern auch bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen könnten. Die in Gang gesetzten Regulierungen erweisen sich zwar als potentielles Gelegenheitsfenster, um reale Verbesserungen zu bewirken. Für nachhaltige Verbesserungen fehlt es aber bislang an Durchsetzungskraft. „Es führt kein Weg daran vorbei, gewerkschaftliche Interessenpolitik auch in der landwirtschaftlichen Saisonarbeit zu stärken. Dies ist aber nur möglich, wenn Gewerkschaften und Beratungsorganisationen sowie die Beschäftigten mit ihren besonderen Bedürfnissen und eigenen Aktionsformen besser zusammenfinden“, ist sich Barthel sicher.

Zur Methodik
Dr. Georg Barthel und Dr. Conrad Lluis führten 13 Leitfadeninterviews mit Saisonarbeitern in zwei landwirtschaftlichen Betrieben und sechs Experteninterviews in den Jahren 2023 und 2024. Zudem werteten sie Regulierungsprojekte und Gesetze aus.

 
Universität Duisburg-Essen (UDE)
Die Universität Duisburg-Essen wurde am 1. Januar 2003 durch die Fusion der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und der Universität-Gesamthochschule Essen (beide 1972) gegründet. Sie gehört mit rund 40.000 Studenten aus 130 Nationen zu den – nach Studentenzahlen – zehn größten deutschen Universitäten. Sie verfügt über ein breites, international ausgerichtetes Fächerspektrum. Sie ist ein Zentrum der nanowissenschaftlichen und biomedizinischen Forschung sowie der Lehrerausbildung in NRW und bietet mehr als 240 Bachelor- und Masterstudiengänge an. Nach dem Times Higher Education (THE) Ranking belegt die Universität Duisburg-Essen unter den Hochschulen 2020 den 194. Platz weltweit.
www.uni-due.de
Universität Duisburg-Essen (UDE)
Foto: Petra Grünendahl

 

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