Familiengeschichte um den Verlust von Tradition und Heimat Von Petra Grünendahl
Andreas Bittl (Tevje), Victoria Moreno Zaldúa (Fiddler). © Sandra Then. ___________________________ Tevje, der Milchmann (Andreas Bittl), lebt mit seiner Frau Golde (Susan Maclean) und seinen fünf Töchtern im Dorf Anatevka. Er glaubt fest an Gott und an die Tradition. Dieser Tradition folgend sucht die Heiratsvermittlerin Jente (Morenike Fadayomi) für seine älteste Tochter Zeitel (Julia Danz) einen passenden Ehemann: Sie schlägt den reichen Fleischer Lazar Wolf (Rolf A. Scheider) vor, dem Tevje zustimmt. Allerdings will das Mädchen sich nicht einfach so verkuppeln lassen, da es in den armen Schneider Mottel (Roman Hoza) verliebt ist. Anna Sophia Theil (Zeitel), Roman Hoza (Mottel). © Sandra Then. ____________________________ Nur mit viel gutem Zureden ist Tevje bereit, mit der Tradition zu brechen, die Wahl seiner Tochter zu akzeptieren und der Heirat zuzustimmen. Auch als Tochter Hodel (Kimberley Boettger-Soller) sich in Perchik (Florian Simson), den Hauslehrer ihrer beiden jüngeren Schwestern Sprintze (Klara Perbix) und Bielke (Frida Perbix), verliebt und Anspruch auf eine eigene Entscheidung erhebt, gibt Tevje nach. Der Wachtmeister des Schtetls (Stefan Stechmann), warnt Tevje, dass Pogrome gegen jüdische Bürger bevorstehen. Anna Sophia Theil (Zeitel), Roman Hoza (Mottel), Ensemble, Chor der Deutschen Oper am Rhein. Foto: Sandra Then. ___________________________________ Auf Zeitels Hochzeitsfeier stürmt der Wachtmeister den Saal mit seinen Schergen, die alles kurz und klein hauen. Er hatte Befehl von „oben“. Die dritte Tochter Chava (Mara Guseynova) verliebt sich in den nicht-jüdischen Russen Fedja (Valentin Ruckebier): Als die beiden gegen Tevjes Willen heiraten, verstößt er seine Tochter. Hodel verlässt Anatevka und folgt dem inzwischen verurteilten Perchik nach Sibirien. Und schließlich verkündet der Wachtmeister den Juden von Anatevka, dass sie binnen drei Tages das Dorf verlassen müssten. Widerstand sei zwecklos! Die jüdische Dorfgemeinschaft ebenso wie Tevjes Familie werden auseinander gerissen und in alle Winde in eine ungewisse Zukunft geschickt.
Susan Maclean (Golde), Morenike Fadayomi (Jente). © Sandra Then. _____________________________ Ein restlos begeistertes Publikum im ausverkauften Theater Duisburg sah Felix Seilers Opern-Inszenierung des Musicals „Anatevka“: Die jüdische Familiengeschichte spielt im Westen des zaristischen Russlands, in einem Korridor vom heutigen Polen über Weißrussland bis in die heutige Ukraine, in dem Juden sich hatten ansiedeln dürfen. Die Zeiten stehen 1905 allerdings auf Wandel: Nicht nur gibt es revolutionäre erste Stimmen im Volk gegen Adel und Zar, auch gegen die Juden wird Stimmung gemacht. Andreas Bittl (Tevje), Günes Gürle (Lazar Wolf), Ensemble und Chor der Deutschen Oper am Rhein, Tänzer. © Sandra Then. __________________________ Das Musical (Originaltitel: „Fiddler on the Roof“) stammt von jüdischen Amerikanern: Mit Musik von Jerry Bock zu einem Buch von Joseph Stein mit Gesangstexten von Sheldon Harnick basiert es auf auf „Tewje, der Milchmann“ von Scholem Alejchem. Es feierte seine Premiere 1964 im Imperial Theatre am Broadway. Produziert wurde das Musical für die Bühne in New York von Harold Prince, die Original-Bühnenproduktion in New York inszenierte und choreografierte Jerome Robbins. Für diese Inszenierung von Felix Seiler choreographierte Danny Costello die Tanzszenen neu. Gesungen wird in deutscher Sprache (in der Übersetzung von Rolf Merz und Gerhard Hagen). Übertitel erleichtern das Verständnis der Handlung. Empfohlen ist das ca. 3¼-stündige Stück (inkl. Pause) ab 12 Jahren.
Szenenapplaus belohnte eine hochklassige Inszeniertung
Florian Simson (Perchik), Kimberley Boettger-Soller (Hodel). Foto: Sandra Then. __________________________________ Es dominieren die lebensfrohen Töne und eine ausgelassene Stimmung in der jüdischen Gemeinschaft, bis sich mit der Störung der Hochzeitsfeierlichkeiten eine Schwere und Melancholie in das Dorfleben schiebt, die mit der Vertreibung der Juden aus ihrer Heimat ihr trauriges Finale erreicht. Allerdings ist die Geschichte vom Wandel und Loslassen alter Traditionen nicht jüdisch, sondern vor allem eins: menschlich und universal gültig. Ein Japaner habe den Songtexter Sheldon Harnick mal gefragt, ob die Amerikaner das Stück überhaupt verstehen würden, verriet Dramaturgin Juliane Schunke in der Einführung: Es sei so japanisch!
Anna Sophia Theil (Zeitel), Andreas Bittl (Tevje), Roman Hoza (Mottel). © Sandra Then. __________________________________ Das durchkomponierte Stück mit vielen Szenen- und Bilderwechseln erntete – ob seiner herausragenden Akteure völlig zu Recht – reichlich Szenenapplaus. Das Musical lebt nicht nur vom hervorragenden Gesang, sondern auch von den schauspielerischen Qualitäten der Akteure, die ihre Charaktere zum Leben erweckten. Acht Tänzer (Choreografie Danny Costello) verstärkten die ausgelassene Lebensfreude der Handlung. Der Chor der Deutschen Oper am Rhein unter der Leitung von Patrick Francis Chestnut unterstützt die singenden Akteure vokal. Mara Guseynova (Chava), Andrés Sulbarán (Sascha), Valentin Ruckebier (Fedja). © Sandra Then. _________________________________ Die herausragenden Duisburger Philharmoniker unter der musikalischen Leitung von Katharina Müllner zeigen sich auch mit der lebhaften Musical-Komposition, die ein bisschen an die klassische jüdische Volksmusik (Klezmer) anknüpft, ganz in ihrem Element. Dass diese Broadway-Komposition mittlerweile in die Klezmer-Musik zurück gefunden und diese beeinflusst hat, wusste die Dramaturgin interessierten Besuchern zu vermitteln. Die schlichte Bühnengestaltung mit weißen Tüchern von Nikolaus Webern erleichtert die schnellen Szenenwechsel mit wechselndem „Mobiliar“, das in Sekundenschnelle auf die Bühne und wieder runter geschoben wurde, um Häuser und Räume der jeweiligen Handlung darzustellen. Ins rechte Licht setzte Volker Weinhart die Szenerie. Die zeitgenössischen Kostüme entwarf Sarah Rolke.
Ein kleiner Vorgeschmack:
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Weitere Termine im Theater Duisburg:
Andreas Bittl (Tevje), Susan Maclean (Golde). © Sandra Then. _____________________________ Do | 31. Oktober 2024 | 19:30 Uhr (Restkarten),
Sa | 9. November 2024 | 19:30 Uhr (Restkarten),
S4 | 24. November 2024 | 15:00 Uhr (ausverkauft!*) und
Sp | 1. Dezember 2024 | 18:30 Uhr (Restkarten).
*) evtl. gibt es noch Restkarten an der Abendkasse (keine Garantie)
Deutsche Oper am Rhein
Chor der Deutschen Oper am Rhein. © Sandra Then. _________________________________ Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg gGmbH ist eine Theatergemeinschaft der Städte Düsseldorf und Duisburg, die auf eine lange Tradition der Zusammenarbeit zwischen den beiden Großstädten zurückblicken kann. Seit ihrer Gründung 1956 zählt sie zu den bedeutendsten Opernhäusern Deutschlands. Durch ihr hochrangiges Solistenensemble, den Chor sowie die national wie international gefeierte Compagnie Ballett am Rhein hat sie sich zu einer der ersten Adressen für Musiktheater und Tanz in Europa entwickelt. Sie ist in der größten und dichtesten Kulturregion Deutschlands beheimatet. Allein die beiden Städte Düsseldorf und Duisburg zählen zusammen fast 1,1 Millionen Einwohner, aber auch die umliegenden Regionen und eine große Zahl auswärtiger Gäste profitieren vom hochkarätigen künstlerischen Angebot der Deutschen Oper am Rhein.
www.operamrhein.de
Kimberley Boettger-Soller (Hodel), Andreas Bittl (Tevje). © Sandra Then. _____________________________ Tickets kosten zwischen 19,00 und 78,00 Euro. Eintrittskarten gibt es online ebenso wie in der gemeinsamen Theaterkasse von Theater Duisburg und Deutscher Oper am Rhein im ehemaligen Restaurant „Theaterkeller“. Der Eingang befindet sich auf der rechten Seite des Theaters gegenüber vom Duisburger Hof (Öffnungszeiten: Mo bis Fr 10 – 18.30 Uhr, Sa 10 bis 18 Uhr). Karten bestellen kann man auch per Telefon 0203 / 283-62100, Fax 0203 / 283-62210 oder eMail karten@theater-duisburg.de. Die Theaterkasse am Eingang öffnet 60 Minuten vor Vorstellungsbeginn. Möglichkeiten für Ermäßigungen bei den Ticketpreisen wie zum Beispiel zur Familienkarte* findet man auf den Webseiten der Deutschen Oper am Rhein bei den Buchungen aufgeführt. Eine halbe Stunde vor Beginn gibt es eine Einführung im Opernfoyer, die einen kurzen Überblick in das Stück, seine Entstehung und die Aufführung gibt.
*) Mit der Familienkarte kostet der Eintritt 10 Euro für jedes eingetragene Familienmitglied.
© 2024 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Sandra Then
Anatevka , Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg , Duisburger Philharmoniker , Musical , Rheinoper , Theater Duisburg
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