Heimat als Identitätsstifter der Region
und Teil eines „Wir”-Gefühls
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Von Petra Grünendahl
Im Ruhrgebiet ließen und lassen sich bis heute Entwicklungen beobachten und studieren, lange bevor sie woanders auftreten: Zum Beispiel der Strukturwandel von der Landwirtschaft zur Industrie und schließlich zur post-industriellen Kultur- und Wissenschaftsökonomie. Oder die Zuwanderung von Menschen, deren Integration auch immer bedeutete, dass sie hier eine neue Heimat fanden. Eine Herausforderung, sagen die Autoren. Die regionale Gesellschaft befand und befindet sich stetig im Wandel: Heimat ist hier Gemeinschaft und zugleich regionale Identität. Und die gestalten die Bürger. Und die Autoren machen deutlich: Man kann mehr als eine Heimat haben – eine alte vergangene und eine neue gegenwärtige Heimat. Heimat lebe aber von aktiver Gestaltungsarbeit, hebt Prof. Dr. Rolf G. Heinze, Sozialwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum (RUB), die Identität stiftende Funktion des Heimatbegriffs hervor. „Heimat ist Gemeinschaft mit Menschen, mit denen man Werte teilt“, sagt Herausgeber Bodo Homobach. Wobei Heimat besonders im Ruhrgebiet mehr als individueller Freiraum statt als Konformitätsdruck verstanden wird.
Im Buch „Heimat im Wandel“ mit dem Untertitel „Das WIR im Revier“ erkunden eine Vielzahl von Autoren den Weg des Ruhrgebiets durch seine diversen Strukturwandel: In vier Kapiteln zu vier bis sechs Aufsätzen gehen 21 Autoren unterschiedlichster Herkunft auf eine interdisziplinäre Suche nach einer gemeinsamen Identität, die sich im Begriff „Heimat“ widerspiegelt. Das ehemals ländliche Ruhrgebiet ist durch Zuwanderung zur Metropolregion geworden, in der Städte nahtlos ineinander übergehen: Die Zuwanderer stammten zunächst aus anderen Teilen Deutschlands, aus Österreich oder Schlesien (heute Polen), später aus Südeuropa (Gastarbeiter) und schließlich aus der ganzen Welt. Nachfahren früherer Zuwanderergenerationen sind längst beheimatet. Heimat bedeutet auch Integration: Dass Zugewanderte Werte der Einheimischen als kulturelle Errungenschaften aufnehmen und ihrerseits wertvolle kulturelle Elemente beisteuern. Die Autoren warnen vor dem Missbrauch von „Heimat“ als ideologischem Bollwerk gegen das Fremde, das Städtische, das Weltoffene und Andersartige. Politisch motiviert seien hingegen die einfachen Lösungen rechter Parteien, die in einem vermeintlich vergangenen Idyll (welches nie Realität war) „Heimat“ propagieren, sind sich die Autoren einig. Das macht eine Auseinandersetzung mit dem Begriff „Heimat“ in seinen vielfältigen Schattierungen so wichtig.
„Die Erforschung von Heimat setzt umfassenden interdisziplinären Ansatz voraus. Im Kontext der Diskurse um Zuwanderung und Zugehörigkeit könnte eine aufgeklärte Heimatforschung einen wichtigen Beitrag leisten“, erklärt Rolf G. Heinze. Die Bedeutung für die Vermittlung von Heimat als regionaler Identität hob Dr. Tobias Korenke, Leiter der Unternehmenskommunikation der Funke Mediengruppe, hervor: „Lokale und regionale journalistische Medien verlieren zunehmend an Bedeutung vor allem für Jüngere, die sich in erster Linie in den sozialen Medien ‚informieren’“ – und sich damit vielfach von ihrer regionalen Identität abkoppeln. Das „WIR im Revier“ zeigt die Heimat im Wandel als regionale und als persönliche Identität: Gänzlich abgekoppelt von jeglichem Nationalismus und von verkitschter Romantik. „Heimat hat eine politische Dimension, wenn sie instrumentalisiert wird: Inklusion durch Exklusion“, so Korenke. Das heißt dann: Wir gegen die anderen. Aber: „Heimat ist ein Gefühl, das den Menschen gehört, nicht der Politik.“ – „Heimat muss uns gehören. Politik darf sie nicht enteignen und für ihre Zwecke missbrauchen“, bringt es Bodo Hombach auf den Punkt. Das Buch erhebt nicht den Anspruch einer allgemeingültigen Antwort, sondern setzt wertvolle Impulse, sich mit der Frage nach Heimat und ihrer Bedeutung für den Einzelnen und für die Gesellschaft, in der wir leben, auseinander zu setzen.
Der Herausgeber, die Autoren und das Buch
Herausgeber Prof. Bodo Hombach ist Vorsitzender des Vorstandes der Brost-Stiftung, Präsident der Brost-Akademie und Ehrenpräsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP). Hombach lehrt als Honorarprofessor an der Universität Bonn. Zuvor war er unter anderem als Chef des Bundeskanzleramtes sowie als Sonderkoordinator des Stabilitätspaktes für Südosteuropa in Brüssel tätig. Von 2002 bis 2012 war er Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe in Essen.
Die Autoren sind Wissenschaftler in unterschiedlichsten Fachgebieten (u. a. Historiker, Politikwissenschaftler, Psychologen, Soziologen), Journalisten oder Schriftsteller. Ihre Beiträge sind teilweise wissenschaftliche Fachaufsätze, die sich gut lesbar mit der Geschichte und Gesellschaft im Ruhrgebiet befassen. Andere Beiträge sind geprägt von den persönlichen Geschichten und Entwicklungen der Autoren. Sie alle vereint ihre individuelle Auseinandersetzung mit dem Thema Heimat, die sie mitunter sehr persönlich für sich verorten.
Das Buch „Heimat im Wandel“ wurde als Buchprojekt der Brost-Akagemie herausgegeben von Bodo Hombach und ist im Essener Klartext Verlag erschienen. Das 320-seitige Taschenbuch mit zahlreichen Infografiken ist für 19,95 Euro im lokalen Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-8375-2668-4).
Brost Stifung und Brost-Akademie
„Ideen mit Wirkung für das Ruhrgebiet und weit über die Grenzen hinaus. Das ist unser Anspruch.“ Brost Stiftung
Die Brost Stiftung ist eine gemeinnützige Stiftung mit Sitz in Essen. Sie fördert und entwickelt wissensbasierte, konzeptionsstarke, mutige, zukunftsweisende Projekte, die möglichst durch Kooperation das Miteinander und die anpackende Selbsthilfe im Ruhrgebiet stützen. Die Brost Stiftung wurde am 1. Juni 2011 gegründet. Die Stifterin war Anneliese Brost (1920–2010), Verlegerin und Gesellschafterin der WAZ-Mediengruppe (heute: Funke Mediengruppe), die die Gründung testamentarisch verfügt hatte.
broststiftung.ruhr
Die Brost-Akademie gGmbH ist ein 100-prozentige Tochter der Brost Stiftung, das sich als Impulsgeber für das Ruhrgebiet und darüber hinaus versteht. Dazu bringt sie in Projekten, Veranstaltungen und Publikationen Menschen zusammen, die „mit innovativen Ideen und kreativen Lösungen neue Akzente setzen und Strahlkraft über die Region hinaus entwickeln.“
brost-akademie.ruhr
Der Verlag
Der Klartext Verlag wurde 1983 gegründet, seit 2007 ist er Teil der Funke Mediengruppe. Seine Heimat liegt im Ruhrgebiet, wo auch der überwiegende Teil seiner Publikationen angesiedelt ist: Freizeitführer, Sachbücher, Kalender und Bildbände. Mit der „Von oben“-Reihe kann man Städte nicht nur im Ruhrgebiet, sondern in ganz Deutschland aus der Vogelperspektive bewundern. Und mit der Reihe „Irrtümer und Wahrheiten“ (bei ihrem Start im Verlagsprogramm hieß die Serie noch „Klugscheißer“) lernt der Leser Neues zu verschiedenen Orten, Themen und Fußballvereinen – unterhaltsam, fundiert und auch mit dem einem oder anderen Augenzwinkern.
www.klartext-verlag.de
© 2024 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl
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