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Mechanik und Menschlichkeit: Lehmbruck Museum zeigt Eva Aeppli und Jean Tinguely

Zum 100. Geburtstag der beiden Schweizer Künstler
Von Petra Grünendahl

Jean Tinguely und Eva Aeppli im Lehmbruck Museum. Foto: Petra Grünendahl
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Jean Tinguely (1925–1991) ist dem Besucher des Lehmbruck Museums bekannt, steht er doch sehr prominent an mehreren Stellen in der Dauerausstellung seine großformatigen Maschinen: Sie stammen aus Einzelteilen, die Tinguely vom Schrott oder Sperrmülll geholt hat. Kleine Motoren treiben die Kunstwerke an und wecken sie zum Leben. Tinguely und seine langjährige Lebensgefährtin und Ehefrau Eva Aeppli (1925–2015) nutzen alltägliche Gegenstände für ihre Kunst. Von frühen Zeichnungen und Handpuppen entwickelt sich Aeppli weiter zu lebensgroßen Figuren, die ihre Themen Einsamkeit, Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit verarbeiten. Ein Höhepunkt der Ausstellung sind die Gemeinschaftswerke von Eva Aeppli und Jean Tinguely, die bislang kaum bekannt sind: 1990/91 schaffen die beiden 13 großformatige Installationen, die die mechanischen Skulpturen Tinguelys mit den ausdrucksstarken Figuren Aepplis verbinden. Mit ihrem Spätwerk überschreiten sie Grenzen von Kunst und bürgerlicher Konvention – und mitunter die Grenzen des sogenannten „guten Geschmacks“: Die mit Menschen bestückten Apparate stehen paradigmatisch für die Freiheit, sich über den Tod lustig zu machen.

 

Jean Tinguely und Eva Aeppli im Lehmbruck Museum. Foto: Petra Grünendahl
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Das Lehmbruck Museum präsentiert anlässlich ihres 100. Geburtstags die weltweit erste umfassende Ausstellung von Jean Tinguely und Eva Aeppli. Im Pressegespräch stellte Museumsdirektorin Dr. Söke Dinkla die Sonderausstellung vor: Zusammen mit der Kuratorin Anne Groh sowie mit Isabelle Beilfuss (Tinguely Museum in Basel) und Guido Kohlenbach, Leiter des Fachbereichs Regionale Kulturarbeit im LVR. Der Lehmbruck-Preisträger Jean Tinguely, bekannt für seine kinetischen Skulpturen und seinen innovativen Umgang mit gefundenen Materialien, trifft auf Eva Aeppli, eine Künstlerin, die es mit ihren handgenähten Figuren vermag, eine berührende Menschlichkeit einzufangen. Die Ausstellung stellt das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine in den Fokus, das beide auf spielerische und zugleich kritische Weise geprägt haben. Die Ausstellung und die begleitende Publikation leisten Pionierarbeit, denn sowohl das Gemeinschaftswerk als auch das Werk Eva Aepplis ist europaweit und auch weltweit nur wenig bekannt. Mit 76 Werken (37 von Eva Aeppli, 25 von Jean Tinguely, 9 Gemeinschaftswerken und 5 Kollaborationen mit anderen Künstlern) präsentieren die Werkschau die bedeutendsten Schaffensphasen Tinguelys und Aepplis umfassend. Die Ausstellung wird gefördert von dem Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen, dem Landschaftsverband Rheinland (LVR), der Kulturstiftung der Länder, der Ernst von Siemens Kunststiftung, der Duisburger Hafen AG und den Duisburger Akzenten. Die Eröffnung findet Morgennachmittag mit geladenen Gästen statt.

 

 
Die Künstler und der Katalog

Jean Tinguely und Eva Aeppli im Lehmbruck Museum. Foto: Petra Grünendahl
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Eva Aeppli und Jean Tinguely werden beide 1925 in der Schweiz geboren. Sie wachsen in Basel auf und lernen sich Mitte der 1940er-Jahre dort auf der Kunstgewerbeschule kennen. Sie verbringen rund zwölf Jahre ihres Lebens zusammen, heiraten 1951 nach der Geburt der gemeinsamen Tochter. Es sind wichtige Jahre ihrer künstlerischen Entwicklung, die ihr weiteres Leben und Schaffen prägen. Entscheidend für ihr Werk ist der gemeinsame Umzug nach Paris im Jahr 1953. In dieser Zeit entfaltet sich ihr rebellischer Sinn, mit dem sie Kunst und Gesellschaft verändern. Hier entstehen die ersten von Tinguelys ikonischen Maschinenskulpturen, für die er weltweit bekannt wird. Zeitgleich entwirft Aeppli ihre fein gearbeiteten Stofffiguren, die in der Kunstgeschichte ohne Vorbild sind. Sie zeigen die außergewöhnliche Fähigkeit der Künstlerin, Komik und tiefen Ernst miteinander zu verbinden. So spiegeln sie die innere Zerrissenheit des Menschen zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Sowohl Aeppli als auch Tinguely, die von 1951 bis 1960 verheiratet waren, verarbeiten in ihren Werken die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs und rebellieren gegen die Macht der Maschinen, die unser Leben bestimmen. Nach ihrer Trennung haben beide jeweils weitere Partner, bleiben aber freundschaftlich und künstlerisch verbunden. Tinguely zieht mit der Künstlerin Niki de Saint Phalle (Life Saver) zusammen, die er später auch heiratet.

 

Jean Tinguely und Eva Aeppli im Lehmbruck Museum. Foto: Petra Grünendahl
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1954 finden ihre ersten Ausstellungen in Paris statt. Für Tinguely markiert dies den Beginn einer großen Karriere. Mit seinen Maschinenskulpturen aus gefundenen Materialien und Schrott definiert er die Regeln der Kunst neu. Seine Werke wachsen schon bald ins Monumentale und durchbrechen die Grenzen zur Alltagswelt. 1976 erhält Jean Tinguely in Duisburg den Wilhelm-Lehmbruck-Preis für sein künstlerisches Werk, mit dem er unsere Beziehung zur Maschine verändert und „menschlicher“ gemacht hat.

 

Jean Tinguely und Eva Aeppli im Lehmbruck Museum. Foto: Petra Grünendahl
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Eva Aeppli fertigt in dieser Zeit ihre ersten selbstgenähten Handpuppen. Mitte der 1960er-Jahre entstehen die ersten lebensgroßen Stofffiguren. Technisch sind sie eine Weiterentwicklung ihrer frühen Handpuppen, künstlerisch entfalten sie eine völlig neue Wirkung. Die seidenen Köpfe formt Aeppli zu plastischen Objekten und verleiht ihnen durch feine Nähte einen besonderen Ausdruck. Nach ihren Einzelfiguren entstehen ganze Gruppen, die entweder auf Stühlen sitzen oder frei im Raum stehen. Die theatrale Installation dieser Gruppen hat die ästhetische Kraft, zum ikonischen Ausdruck der Nachkriegszeit zu werden. Denn in ihr spiegelt sich Widerstand und Rebellion. Sie steht beispielhaft – gleichwohl einzigartig in ihrer Form – für die Aufbruch- und Protestbewegung der späten 1960er-und 1970er-Jahre, für die Auflehnung gegen die verbliebenen Strukturen des totalitären Regimes und gegen eine Geisteshaltung, die zu Gewalt und Unterdrückung führt.

 
1990/91 finden Tinguely und Aeppli künstlerisch noch einmal zusammen für ihr gemeinsames Spätwerk, dass hier im Lehmbruck Museum erstmals überhaupt so umfassend präsentiert wird.

 

Jean Tinguely und Eva Aeppli im Lehmbruck Museum. Foto: Petra Grünendahl
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Zur Ausstellung ist ein Katalog erschienen: Mit Texten von Dr. Söke Dinkla, Roland Wetzel, Anne Groh, Sarah Louisa Henn sowie Barbara Räderscheidt im Gespräch mit Daniel Spoerri präsentiert erstmals das individuelle und gemeinsame Werk des Paares umfassend. Anhand von Schlüsselwerken zeichnet die Publikation ihre künstlerische Entwicklung nach – von Tinguelys frühen kinetischen Reliefs über Aepplis lebensgroßen Figuren bis zu ihrem späten Gemeinschaftswerk, das die Ideenwelten der beiden vereint. Das 168-seitige Werk mit 122 Abbildungen ist im Wienand Verlag erschienen und für 24 Euro an der Museumskasse zu haben (ISBN 978-3-86832-823-3).

 

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Impressionen aus der Ausstellung. Fotos: Petra Grünendahl

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Das Lehmbruck Museum

Das Lehmbruck Museum im Kantpark. Foto: Petra Grünendahl.
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Das mitten in Duisburg im Kantpark gelegene Lehmbruck Museum ist das international bedeutendste Museum für Skulptur der Moderne und der Gegenwart in Europa. Seine Sammlung moderner Plastiken von Künstlern wie Alberto Giacometti, Meret Oppenheim, Pablo Picasso, Barbara Hepworth, Rebecca Horn und natürlich Wilhelm Lehmbruck ist europaweit einzigartig. Beheimatet ist das Museum in einem eindrucksvollen Museumsbau inmitten eines Skulpturenparks mit Werken von Bildhauern wie Alicja Kwade, Julian Opie, Tony Cragg und Dani Karavan, der zum Schlendern und Entdecken einlädt.

 

Wilhelm Lehmbruck: Der Gestürzte. Foto: Petra Grünendahl.
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Namensgeber des Hauses ist der Bildhauer Wilhelm Lehmbruck, der 1881 in Meiderich, heute ein Stadtteil von Duisburg, geboren wurde. Lehmbruck ist einer der bedeutendsten Bildhauer der Klassischen Moderne. Er hat mit seinem Werk maßgeblichen Einfluss auf nachfolgende Künstlergenerationen und ist auch nach seinem frühen Freitod im Jahr 1919 bis heute einflussreich geblieben. Das Lehmbruck Museum entstand 1964 nach den Entwürfen von Lehmbrucks Sohn Manfred (1913–1992). Der ab 1983 errichtete Erweiterungsbau wurde 1987 eröffnet.
www.lehmbruckmuseum.de

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Öffnungszeiten und Eintrittspreise

Ein Lieblingsmotiv von Wilhelm Lehmbruck: Mutter und Kind. Foto: Petra Grünendahl.
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Zu sehen ist die Sonderausstellung „Mechanik und Menschlichkeit“ mit Werken von Eva Aeppli und Jean Tinguely im Erweiterungsbau des Museums bis zum 24. August. Im Souterrain der Glashalle ist der Duisburger Bildhauer Hans Jürgen Vorsatz noch bis zum 7. September ausgestellt. Geöffnet ist das Lehmbruck Museum dienstags bis freitags ab 12 Uhr, samstags und sonntags ab 11 Uhr. Die Öffnungszeiten gehen bis 17 Uhr, donnerstags an Terminen der plastikBAR (erster Donnerstag im Monat ab 17.30 Uhr) bis 20 Uhr. An Feiertagen gelten ggf. besondere Öffnungszeiten. Regulär kostet der Eintritt 9 Euro (ermäßigt* 5 Euro), eine Jahreskarte 35 Euro (ermäßigt* 20 Euro). Kinder und Jugendliche bis 14 Jahre in Begleitung von Angehörigen sowie Blinden- und Demenzbegleitung haben kostenlos Eintritt. Schulklassen und Kindergärten zahlen pro Person 2 Euro (gilt nur für Selbstführergruppen), eine Familienkarte (2 Erwachsene plus Kinder bis 14 Jahre) gibt es für 15 Euro. Jeden ersten Freitag im Monat gilt: „Pay what you want“. Ausgenommen davon sind angemeldete Gruppen.

Zu seinen Sonderausstellungen bietet das Lehmbruck Museum verschiedene Veranstaltungen als Rahmenprogramm an. Öffentliche Führungen durch das Museum gibt es jeden Sonntag um 11.30 Uhr. Zum Rahmenprogramm der Ausstellung zählen zum Beispiel ein Familientag mit Eva und Jean (23. März), Lesungen und Ausstellungsgespräche (30. April, 15. Mai und 12. Juni, jeweils um 18 Uhr) sowie Kuratorinnenführungen (25. April um 17:30 Uhr mit Museumsdirektorin Dr. Söke Dinkla sowie 31. Mai um 14 Uhr mit Kuratorin Anne Groh). Weltweite Veranstaltungen zu Jean Tinguelys 100. Geburtstag findeT man auf der Website tinguely100.com. Für Informationen steht die Kunstvermittlung des Lehmbruck Museums unter Telefon 0203 / 283-2195 oder eMail kunstvermittlung@lehmbruckmuseum.de zur Verfügung (Zu Preisen und Buchungen für Führungen geht es hier). Tickets für Führungen und Veranstaltungen können vorab im Ticket-Shop des Museums gebucht werden.

 
(*) Ermäßigung erhalten gebuchte Gruppen, Selbstführer ab 20 Personen, Menschen mit Behinderung (ab 70 Prozent), Schüler & Studenten, Wehr- & Zivildienstleistende sowie Menschen im Sozialleistungsbezug.

 
© 2025 Petra Grünendahl / Rundschau Duisburg (Text)
Fotos: Petra Grünendahl

 

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