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Loveparade: Staatsanwaltschaft vergibt ein weiteres Sachverständigengutachten

Die Stahltafel wurde gestiftet von HKM und ThyssenKrupp Steel Europe: Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade 2010 im Juli 2015. Foto: Petra Grünendahl.
Die Stahltafel wurde gestiftet von HKM und ThyssenKrupp Steel Europe: Gedenkstätte für die Opfer der Loveparade 2010 im Juli 2015.
Foto: Petra Grünendahl.
Der Bochumer Jurist, Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Professor Dr. Thomas Feltes kritisiert die Bestellung eines neuen Gutachters für das Loveparade-Verfahren durch die Staatsanwaltschaft Duisburg als unzureichend.

Im Verfahren um die strafrechtliche Aufarbeitung des Loveparade‐Unglücks hat die Staatsanwaltschaft Duisburg einen weiteren Gutachter beauftragt. Der Bochumer Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Professor Dr. Thomas Feltes vertritt einen Vater, dessen Tochter bei der Loveparade getötet worden war. Professor Feltes ist der Auffassung, dass der von der Staatsanwaltschaft nunmehr benannte Gutachter ungeeignet ist und zudem die Gefahr besteht, dass auch dieses Gutachten vom Gericht nicht akzeptiert wird.

Ungeachtet der Frage, ob die Staatsanwaltschaft zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Verfahrens überhaupt ein solches Gutachten in Auftrag geben kann, stellt Professor Feltes fest:

Der von der Staatsanwaltschaft nunmehr beauftragte Gutachter erscheint als nicht geeignet für dieses Verfahren, da er sich schwerpunktmäßig mit Straßenverkehrsplanung und Straßenverkehrstechnik beschäftigt. Er beschränkt sich zudem auf einen zu kleinen Bereich und verfügt nicht über die notwendige Qualifikation zur Beantwortung weiterer, für dieses Straf‐ verfahren besonders relevanten Fragen, da er einen primär technischen Ansatz verfolgt. Ein unabdingbar notwendiger soziologischer und kommunikatorischer Ansatz wird bei ihm nicht sichtbar.

Konkret bemängelt Feltes, dass durch die Bestellung dieses Gutachters wesentliche Aspekte, die für den Ablauf der Veranstaltung und für das spätere Schadensereignis von besonderer Relevanz sind, außer Acht gelassen werden. Dazu gehören Fragen der Kommunikation und der Interaktion vor und während der Veranstaltung. Diese Aspekte waren für die Abstimmung der Abläufe, der Handlungen und der Verhaltensweisen der Beteiligten von besonderer Bedeutung und die bislang vorliegenden Erkenntnisse zeigen, dass hier massive Fehler gemacht wurden.

Der jetzt bestellte Gutachter kann diese Fragen, die unbedingt bearbeitet werden müssen, nicht mit der notwendigen wissenschaftlichen Qualifikation beantworten.

Zudem hat er sich zudem – ähnlich wie der frühere, vom Gericht wegen Befangenheit abgelehnte Gutachter Still – bereits im Vorfeld intensiv mit den Ereignissen befasst und dazu auch in Veranstaltungen Stellung bezogen. Es besteht auch bei ihm die Gefahr, dass er als Gutachter vom Gericht abgelehnt wird.

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Konkret geht es darum, dass das Verhalten von Besuchern, zumal in einer großen Menschen‐ menge, zu den komplexen Prozessen gehört, in denen minimale Veränderungen auf der Ursachenseite zu gravierenden Veränderung auf der Wirkungsseite führen können. Folglich lässt sich die Wirkung (das Verhalten des Besucherstromes) sowohl planerisch als auch rekonstruierend nur bedingt den einzelnen, meist auch gar nicht vollständig bekannten Faktoren auf der Ursachenseite zurechnen. Damit sind aber auch die (kausalen) Wirkungen des Verhaltens oder Nichtverhaltens einzelner Personen entsprechend zu bewerten. Es ist daher eine wesentliche Aufgabe des Risikomanagements vor einer solchen Veranstaltung, sowohl die möglichen Verläufe zu antizipieren (wozu auf z.B. Personenstrommodellierungen zurückgegriffen werden kann) als auch Vorkehrungen für nicht vorhersehbare oder nicht vorhergesehene Ereignisse und Abläufe zu treffen. Ansonsten setzte die sichere Durchführung einer Veranstaltung vo‐ raus, dass sich die Besucher in allen möglichen Situationen genau so verhalten, wie es die Modellierung voraussagt; das ist grundsätzlich nicht zu erwarten.

Zudem bedarf es bei einer solchen Veranstaltung einer sehr engen Abstimmung zwischen allen relevanten Akteuren, insbesondere zwischen Veranstalter, privaten Sicherheitsdiensten und der Polizei. Dies wurde bislang nicht thematisiert und kann von dem nunmehr benannten Gutachter auch nicht thematisiert werden.
Es handelt sich weniger um baurechtliche und verkehrstechnische Fragen, sondern überwiegend um Fragen der Kommunikation, und zwar zwischen den verantwortlichen Akteuren in der Planungsphase, in der Durchführungsphase und zwischen Besuchern und Sicherheits‐ und Ordnungsdienst bzw. Polizei sowie zwischen dieses Institutionen untereinander.

Formal sind diese Fragen im Notfall‐ und Krisenmanagement bzw. Sicherheitsmanagement als Teildisziplin des Risikomanagements zu verorten.

Professor Feltes hatte daher die Staatsanwaltschaft aufgefordert, zumindest zusätzlich auch einen Gutachter zu bestellen, der sich schwerpunktmäßig mit dem Bereich des Risikomanagements und den o. gen. Fragestellungen beschäftigt. Dies ist leider nicht geschehen.

– Pressemeldung von Professor Dr. Thomas Feltes M.A. –
Lehrstuhl für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft
Juristische Fakultät, Ruhr-Universität Bochum

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Ein Kommentar "Loveparade: Staatsanwaltschaft vergibt ein weiteres Sachverständigengutachten"

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