In den Dreißigern, Vierzigern, Achtzigern – und heute:
Antifaschismus so nötig wie noch nie!Von Petra Grünendahl
Ist das Zittern von der Kälte im Raum (die Heizung funktioniert mal wieder nicht) – oder ist es der Anblick von Bildern und Texten aus Zeiten von faschistischem Terror in Deutschland, der einem die Schauer über den Rücken jagt? Das Dokumentationszentrum der VVN in Duisburg belegt die Ausgrenzung und Verfolgung von allem Fremdem, von unerwünschten Gruppen der Gesellschaft, von Andersdenkenden und den vielfältigen Widerstand, der schließlich aus diesen Gruppen entstand. Widerstand gegen den Faschismus ist hier dokumentiert – und er beschränkt sich bei weitem nicht auf Duisburg während der Herrschaft des Naziregimes. Diesen Widerstand der Vergangenheit muss man sich vergegenwärtigen, denn er ist auch heute wieder gefordert!
Zwei Pavillons an der Grundschule Wrangelstraße beherbergen die Ausstellung der Duisburger Kreisvereinigung der VVN / BdA (Verband der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten) zu Verfolgung und Widerstand gegen Faschismus. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf den Jahren der Nazi-Diktatur von 1933 bis 1945. Aber es gibt auch neuere Belege für faschistische Strömungen in Duisburg und den Widerstand aus den 1980-er Jahren sowie aus diesem Jahrtausend. Gruppen des aktuellen Widerstandes wie das Duisburger Netzwerk gegen Rechts (https://netzwerk-gegen-rechts.org/uber-uns/) sind mit ihrem Entgegentreten gegen faschistische Gruppierungen schon 2005 belegt und dokumentiert. Das Thema ist aber auch jetzt aktueller denn je!
Nachdem die Grundschule die Räume wegen Eigenbedarfs kündigte, ist die VVN / BdA mit tatkräftiger Unterstützung von Stadt und IMD (Immobilien-Management Duisburg) auf der Suche nach neuen Räumlichkeiten. Seit 1997 ist der Verein in den beiden Pavillons an der Waldemarstraße (dort befindet sich der Zugang zum Schulhof der Grundschule Wrangelstraße) mit zwei Ausstellungsräumen vertreten. Auch das Archiv der Duisburger Kreisvereinigung ist in diesem Dokumentationszentrum untergebracht. Dazu kommen als Highlights der Ausstellung KZ-Uniformen, ein Fahrrad, mit dem versteckte Flugblätter transportiert wurden, ein geheimer Schrank, in dem Wachsbögen für den Druck von Flugblättern angefertigt wurden, sowie diverse Utensilien, die Widerständler damals brauchten, um ihre Schriften gegen den Nationalsozialismus zu verbreiten.
Viele der großen Informationstafeln sind schon älter, die Informationsblätter noch auf Schreibmaschine geschrieben, Überschriften in Handschrift: „Das würde man so heute nicht mehr machen. Wir werden einige Sachen neu konzipieren“, erklärte Christa Bröcher vom Kreisverband Duisburg, die diese Ausstellungsräume mit betreut. Die Sammlung ist im Laufe der Jahre von engagierten Antifaschisten immer wieder erweitert und ergänzt worden. Der zweite Pavillon mit seiner Ausstellung über den Widerstand von Frauen in Duisburg ist neuer von Konzept und Gestaltung. Nach dem Umzug soll die Sammlung insgesamt ein wenig moderner präsentiert werden. Wie hier bislang auch soll es in den neuen Räumen zusätzlich zur Ausstellung Tische und Stühle als eine Art Lesecafé geben, damit man Veranstaltungen oder Lesungen abhalten kann.
Zu wünschen ist den engagierten Antifaschisten eine etwas zentralere Örtlichkeit, ist ihre Ausstellung doch heute wichtiger denn je: Sie muss mehr ins Bewusstsein der Menschen in unserer Stadt rücken, damit sich eine solch menschenverachtende Ideologie nicht wieder ausbreitet. Der Schoß, aus dem das kroch, ist nach wie vor fruchtbar: Das sieht man unter anderem jeden Montagabend am Duisburger Hauptbahnhof.
„Aber heute haben wir alle diese Erfahrung. Heute muss jeder wissen, was Faschismus bedeutet. Für alle zukünftigen Generationen gibt es keine Entschuldigung mehr, wenn sie den Faschismus nicht verhindern.“
Widerständler Peter Gingold in seinen Lebenserinnerungen
Antifaschismus als Aufgabe
Christa Bröcher macht auf eine Studienfahrt zur Gedenkstätte Esterwegen aufmerksam, die die VVN / BdA Duisburg zusammen mit dem Evangelischen Familienbildungswerk am Samstag, 23. April, veranstaltet (mehr Infos hier …). In Börgermoor, wie das Lager Esterwegen eines von 15 Emslandlagern, war das „Moorsoldatenlied“ (Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Moorsoldaten)* entstanden. Auch ihr Großvater Anton „Toni“ Melchers (1885 – 1947) war eine Zeit lang dort inhaftiert. Der Widerständler musste 1945 vom Konzentrationslager Sachsenhausen aus den Hungermarsch zur Ostsee mit antreten, als die Befreierfront näher rückte. Der Dichter des Moorsoldatenliedes, Johann Esser (1896 – 1971, Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Esser), lebte und arbeitete lange in Rheinhausen.
Ebenfalls in den Emslandlagern saß Heinz Kiwitz (1910 – 1938, Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Kiwitz), ein Holzschneider aus Duisburg, dessen beeindruckende Werke hier zu sehen sind. Der hochtalentierte expressionistische Künstler hätte auf seinem Gebiet so etwas wie ein zweiter Lehmbruck werden können, wäre er nicht 28-jährig im spanischen Bürgerkrieg im Kampf gegen den Faschismus gefallen. In den Emslandlagern litten etwa 80.000 KZ-Häftlinge, zu denen auch der Friedensnobelpreisträger von 1936, Carl von Ossietzky (1889 – 1938, Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Carl_von_Ossietzky), gehörte. Dort wurden die Gefangenen unter unerträglichen Bedingungen bei der Trockenlegung der emsländischen Hochmoore eingesetzt.
Widerstand gegen den Faschismus kam aus unterschiedlichsten Gruppen der Gesellschaft: „1933 wäre verhindert worden, wenn alle Hitlergegner die Einheitsfront geschaffen hätten. Dass sie nicht zustande kam, dafür gab es (…) nur eine einzige Erklärung: Sie hatten keine Erfahrung, was Faschismus bedeutet, wenn er einmal an der Macht ist“, schrieb Peter Gingold (1916 – 2006, Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Peter_Gingold) in seinen Lebenserinnerungen. Er war als Jude aus Deutschland nach Frankreich geflüchtet und hatte sich dort der Résistance, dem französischen Widerstand, angeschlossen.
Der faschistische Terror fing nach dem 30. Januar 1933 sehr schnell an, Andersdenkende zu ermorden. Eine Tafel im Eingangsbereich weist auf die ersten vier von den Faschisten ermordeten Duisburger hin:
1. Februar Katharina „Käthe“ Sennholz,
2. Februar Wilhemine Struth,
3. Februar Karl Wettmann,
4. Februar Kurt Loer …
Das waren nur die ersten, denen allein in Duisburg noch viele Hunderte folgen sollten. Immer fing es mit der Ausgrenzung und Verfolgung derer an, die „die anderen“ waren.
Zu denen, die schon vor 1933 Widerstand leisteten, gehörte Christa Bröchers Mutter Christel Melchers (1909 – 1989). Das erste Mal verhaftet wurde sie 1932, als sie mit anderen auf dem Weihnachtsmarkt in Düsseldorf gegen Hitler demonstrierte. Bereits im April 1033 wurde sie ein zweites Mal verhaftet. Man hatte ihre Widerstandsgruppe, die sich mit anderen Widerständlern am Niederrhein vernetze, verraten und sie stand 1934 in Hamm wegen Hochverrats vor Gericht. Im Gefängnis in Düsseldorf zog sie sich in den nassen Zellen einen bleibenden Nierenschaden zu, der ihr zeitlebens Probleme bereitete.
Es gab Widerstand in christlichen Kirchen und in Jüdischen Gemeinden. Der eine Pavillon ist ganz dem Widerstand von Frauen gewidmet. Dieser Teil der Ausstellung ist auch in seiner Konzeption neuer. Kontinuierlich wurde die Sammlung erweitert in den 20 Jahren, die die Ausstellung schon existiert. Verfolgt und ausgegrenzt wurden Sinti und Roma ebenso wie Homosexuelle. Kommunisten ebenso die Sozialdemokraten bekämpften den Faschismus – sie kämpften aber auch gegeneinander. Das schwächte den Widerstand insgesamt, weil die beiden Gruppen sich nicht zusammen tun wollten und Seite an Seite gegen den Faschismus zu kämpfen. Widerstand gab es in der Arbeiterschaft ebenso wie in bürgerlichen Gesellschaftsschichten. Bei der „Weißen Rose“ (Geschwister Scholl) engagierten sich Studenten, bei den Edelweißpiraten waren es Arbeiterkinder. Die Vielfalt des Widerstandes ist in der Ausstellung des Duisburger VVN / BdA ebenso umfassend dokumentiert wie die Verfolgung derer, die nicht ins Weltbild der Nationalsozialisten passten. An den Schautafeln wird Geschichte von Menschen aus Duisburg lebendig, die von den Nationalsozialisten verfolgt und allzu oft auch getötet wurden.
Zeitzeugen erklärten die Ausstellung
„Wir hatten früher Zeitzeugen, die durch die Ausstellung führten und eigene Erlebnisse erzählen konnten“, berichtete Christa Bröcher. Karl-Heinz Winstermann (1927 – 2005) und Bruno Bachler (1924 – 2011, Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Bruno_Bachler) stammten beide aus Wanheimerort. Vor Brunos Elternhaus in der Schmiedestraße wird seinem Vater Heinrich mit einen Stolperstein gedacht. Karl-Heinz Winstermann lebte neben Wilhelmine Struth, an die vor ihrem Wohnhaus auf der Erlenstraße einen Stolperstein erinnert. Sie wurde am 2. Februar 1933 (siehe weiter oben) von SS-Truppen an ihrem Wohnzimmerfenster erschossen. Nach dem Widerständler Bruno Bachler, der jahrelang nicht nur durch die Ausstellung geführt hatte, sondern viel geachteter Zeitzeuge in Duisburg auch Mahner gegen den Faschismus war, würden die Antifaschisten in Duisburg gerne eine Straße benennen.
VVN / BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes / Bund der Antifaschisten
Die Duisburger Kreisvereinigung der VVN / BdA wurde 1947 gegründet, nach der Gründung des Landesverbandes am 26. Oktober 1946. Mitbegründer der VVN in Nordrhein-Westfalen war Christa Bröchers Großvater Toni Melchers, der auch als Zweiter Vorsitzender dem Landesvorstand angehörte. Vorsitzende der Kreisvereinigung ist Doris Michel. Stellvertreterin ist Christa Bröcher. Unter https://www.vvn-bda.de findet man auch Landesverbände und Kreisgruppen. Die Ausstellung kann nur nach Vereinbarung besichtigt werden: Wer Interesse hat, kann sich mit Schatzmeister Hans-Peter Speer unter Telefon 0203 / 664371 oder vvn-bdaduisburg(at)t-online.de in Verbindung setzen.
Am Samstag, 30. April, veranstaltet die Gewerkschaft ver.di ab 17 Uhr einen Gedenkspaziergang gegen Rassismus und Faschismus, an dem auch die VVN / BdA Duisburg beteiligt ist. Interessierte erkunden dabei markante Punkte des Duisburger Widerstandes in der Innenstadt. Mehr …
Literaturtipp:
Tatort Duisburg 1933 – 1945, Widerstand und Verfolgung im Nationalsozialismus (in zwei Bänden), herausgegeben von Rudolf Tappe und Manfred Tietz für die Geschichtskommission der VVN / BdA Duisburg, Klartext-Verlag, Essen.
Weitere Bilder als Diashow …
*) Die Moorsoldaten. Liedtext und weitere Informationen: https://www.volksbund.de/fileadmin/redaktion/BereichInfo/BereichPublikationen/Friedenserziehung/Handreichungen/0095_Moorsoldaten_lied.pdf
© 2016 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
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