Zugewanderte in Arbeit und Gesellschaft integrieren
Von Petra Grünendahl
„Diese Menschen sind erleichtert, wenn sie eigenes Geld verdienen und nicht mehr auf Hilfe vom Staat angewiesen sind“, erzählte Reiner Siebert. „Sie sind dankbar für die Hilfe, hier aufgenommen worden zu sein, und wollen etwas zurückgeben.“ Reinere Siebert berät Geflüchtete bei der Suche nach Arbeits- oder Ausbildungsplätzen, zur Anerkennung von Schul- oder Universitätsabschlüssen sowie Berufsausbildungen. „Mit der Aufnahme einer Arbeit oder Ausbildung entsteht weiterer Beratungsbedarf im Behördendschungel“, erklärte Siebert seine Tätigkeit: Aufenthaltsrecht, Sprachkurse oder Kinderbetreuung zum Beispiel. Seit drei Jahren leitet Siebert das InCoach-Beratungsbüro für Geflüchtete Menschen im DGB-Haus am Stapeltor. Aktuell ist das Projekt bis Ende 2020 verlängert worden. Eine weitere Verlängerung bis Ende 2021 ist möglich und wahrscheinlich. Danach müsste eine neue Finanzierung gefunden werden. „Der Beratungsbedarf ist trotz sinkender Flüchtlingszahlen enorm und wird auch weiterhin bestehen, zumal der Beratungsbedarf mit der Aufnahme einer Beschäftigung nicht endet sowie zunehmend Familienangehörige mit einbezogen werden“, so Siebert. Die Beratungserfolge zeigen aber, dass sich Sieberts Arbeit lohnt und einen wichtigen Beitrag zur Integration dieser Menschen in Arbeitsmarkt und Gesellschaft leistet.
Die Projektverlängerung für den Standort Duisburg im bundesweiten IvAF-Netzwerk (Integration von Asylsuchenden und Flüchtlingen) nahmen der Leiter des Integrationsbüros, Angelika Wagner als Geschäftsführerin des DGB Niederrhein und DGB-Gewerkschaftssekretär Bulut Surat zum Anlass für eine erste Bilanz. Finanziert wird das Duisburger Projekt aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Bildungsinstituts im Gesundheitswesen (BiG) Essen, einer mit der Gewerkschaft ver.di verbundenen Einrichtung. Das Duisburger Büro sei das erste seiner Art in einem Gewerkschaftshaus gewesen: „Gewerkschaftsarbeit wie bei uns kennen die Geflüchteten aus ihren Herkunftsländern gar nicht“, erklärte Angelika Wagner. „Bei uns erleben sie Gewerkschaft als hilfreiche Institution, die sich nicht nur um ihre Mitglieder kümmert.“
Konstant hoher Hilfs- und Beratungsbedarf
Seit dem großen Flüchtlingsansturm 2015 habe es zahlreiche Gesetzesänderungen im Asyl-, Aufenthalts- und Ausländerrecht gegeben, die „Bedrohungsszenarien“ aufgebaut hätten, so Siebert, um vor weiterer Zuwanderung abzuschrecken: „Diese haben aber auch erhebliche Folgen für diejenigen, die bereits hier sind und sich integrieren wollen.“ Menschen ohne „Bleibeperspektive“ (zum Beispiel aus so genannten „sicheren Herkunftsländern“ wie dem immer noch terror- und bürgerkriegsgeschüttelten Afghanistan) bekommen keine Sprachkurse: „Das erschwert die Integration in Arbeitsmarkt und Gesellschaft!“ Siebert betreute bis Ende 2019 insgesamt 485 Ratsuchende (plus deren Familienangehörige) aus 36 Ländern in 2.409 Beratungskontakten mit 345 Intensivberatungen von über 6 Stunden. Überwiegend stammten die Ratsuchenden aus Syrien (43 Prozent), Afghanistan (18 Prozent), Iran (8 Prozent) und Irak (5 Prozent). Der Frauenanteil (ohne Familienangehörige) betrug 18 Prozent, junge Erwachsene (18 – 25 Jahre) waren 29 Prozent. Mehr als die Hälfte sind Männer zwischen 25 und 45 Jahren (54 Prozent).
„Viele dieser Menschen haben eine völlig ungesicherten Aufenthaltsstatus und bleiben über Monate bis Jahre in dieser Unsicherheit“, erzählte Reiner Siebert. Das erschwere die Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung und fordere ihn als Netzwerker zwischen den unterschiedlichen zuständigen Behörden vom Sozialamt über Jobcenter bis zum Ausländeramt. Im Kontext seiner Beratung hätten seine „Schützlinge“ mindestens 522 Sprachkurse und 188 Praktika absolviert, 100 Arbeitsstellen aufgenommen, 45 eine Ausbildung angetreten und sechs Schulabschlüsse nachgeholt. Die Zahl von sozialversicherungspflichtig beschäftigten Geflüchteten in Deutschland hat sich in den letzten drei Jahren um rund 69.000 auf etwa 436.000 erhöht (19 Prozent): „Das sind rund 1,1 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten“, so Angelika Wagner. Eine Erfolgsgeschichte für alle, die sich beruflich oder ehrenamtlich für die Integration dieser Menschen einsetzen.
Azubi-Initiative sucht Unterstützung
„Asylbewerber [Anmerkung: vor der Anerkennung des Asylstatus] dürfen zwar nicht arbeiten, aber eine Ausbildung absolvieren“, erklärte Bulut Surat. Dabei böten die Flüchtlingsunterkünfte allerdings keinen geeigneten Wohnort für junge Menschen in Ausbildung: „Die Auszubildenden haben dort keine Ruhe und keinen Platz, ungestört zu lernen. Ein Recht auf eine eigenen Wohnung bekommen sie erst, wenn sie als Asylberechtigte anerkannt sind und einen gesicherten Aufenthaltsstatus haben“, so Bulut Surat, der sich beim DGB um die Azubi-Initiative kümmert: „Analog zu Studentenwohnheimen würden wir hier gerne Azubi-Wohnheime etablieren, brauchen dafür aber Unterstützung.“ Solche Gemeinschaftsunterkünfte ermöglichten den jungen Menschen soziale Teilhabe, das Knüpfen von Kontakten und Integration in die Gesellschaft.“ Bislang habe man erst ein gutes Dutzend adäquat unterbringen können: „Wir haben pro Jahr zwischen 50 und 100 Personen in schwierigen Situationen, für die wir angemessene Wohnverhältnisse suchen.“
Zu den Zielen künftiger Arbeit des Beratungsbüros zählt die Zusammenarbeit mit dem Kommunalen Integrationszentrum der Stadt, aus den Beratungsanliegen der Ratsuchenden zu lernen, um Verwaltungsabläufe zu verbessern. Außerdem will das Integrationsbüro das Partnerprojekt „Welcome“ der Bundesinitiative „Fachkräfte sichern“ ergänzen, um Fachkräftepotenziale zum Beispiel für Pflegeberufe unter bereits Zugewanderten zu erkennen, zu fördern und die betriebliche Integrationsbereitschaft zu verbessern: „Warum sollten wir im Ausland nach Fachkräften suchen, wenn wir hier bereits ausgebildete oder ausbildungswillige Menschen auf der Suche nach Beschäftigung haben?“, machte Siebert klar.
© 2020 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
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