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Lektüretipp „Blumen vor der Hölle“: Lager I in Börgermoor 1933–1945 von Ewald Mescher

Auch Duisburger waren „Schutzhäftlinge“ in den Emslandlagern
Von Petra Grünendahl

Gedenkstätte Esterwegen: Links im Boden eingelassen ein Stück von der alten Schotter-Lagerstraße. Die Alleebäume wurden wohl Ende der 1930-er Jahre gepflanzt. Links und rechts des Weges deuten „Baumpakete“ die Standorte der Häftlingsbaracken an. Drum herum: Lava-Scchotter (Vulkanstein aus der Eifel). Foto: Petra Grünendahl.
„Die ersten Gefangenen der Nazis waren die Menschen, die ihnen als die größte Bedrohung erschienen: Schriftsteller, Politiker, Künstler, Funktionäre. Menschen, die geschult darin waren, ihrer Meinung in Wort, Schrift und Bild Ausdruck zu verleihen“, schreibt Keno Mescher, der Sohn des Autors in einem einleitenden Kommentar zu diesem Buch. Hier, mitten in der Moorlandschaft des Emslandes, begegnet man auch den Schicksalen von Duisburgern, die im Konzentrationslager Börgermoor einsaßen:
Gedenkstätte Esterwegen: Ein Stahlsteg führt vom Besucherzentrum direkt ins Moor. Foto: Petra Grünendahl.
Der Künstler Heinz Kiwitz (1910–1938), der Dichter und Bergmann Johann Esser (1896–1971, er schrieb zusammen mit anderen Häftlingen das Moorsoldatenlied), der „frühere Polizeipräsident von Hamborn“ oder Konrad Skrentny (Arbeitsdirektor der Phoenix-Hütte) zum Beispiel. Politiker von Parteien wie SPD, KPD oder dem Zentrum, Stadtverordnete oder Abgeordnete in Landtag oder Reichstag, Gewerkschaftler oder einfach nur politisch engagierte Menschen unterschiedlichster Couleur. Dabei war auch Heinrich Bachler (1900–1944), für den in Wanheimerort ein Stolperstein verlegt ist. Über 100 so genannte „Schutzhäftlinge“ aus Duisburg waren es alleine im Lager I in Börgermoor.

 

Blumen vor der Hölle. Buchumschlag: Bjearn Rausch.
Autor Ewald Mescher hat für sein Buch „Blumen vor der Hölle“ die Geschichte des Lagers I in Börgermoor als Konzentrations-, Strafgefangenenlager und Wehrmachtsuntersuchungsgefängnis im Emsland erforscht und Quellen für interessierte Leser kundig kommentiert aufbereitet. Die Schilderungen von Zeitzeugen reichen von der Errichtung des Lagers mit zehn Baracken für 1.000 Häftlinge über Lebensbedingungen und Schikanen durch die Bewacher in einem quasi rechtsfreien Raum bis hin zu den Schicksalen vieler Häftlinge, die gut anschaulich dokumentiert sind. Die Gefangenen wurden unter unerträglichen Bedingungen bei der Trockenlegung der emsländischen Hochmoore eingesetzt. Manch ein Gefangener ging freiwillig in den elektrischen Zaun, der das Lager umgab, weil er die Misshandlungen durch die Bewacher (überwiegend von SS und SA) nicht mehr aushielt und seinem Leben ein Ende bereiten wollte.

 

Gedenkstätte Esterwegen: Modell von den Häftlingsbaracken im Lager Aschendorfermoor, das ein ehemaliger Gefangener aus seinen Erinnerungen und Gefühlen gebaut hat. Foto: Petra Grünendahl.
Ewald Mescher befasst sich in kommentierten Quellen auch mit der Vorgeschichte des Lagers sowie mit der Erinnerungs- und Verdrängungskultur nach dem Zweiten Weltkrieg. Gegliedert ist das Buch weitestgehend chronologisch nach Phasen der Lagergeschichte, bevor der Autor im Anschluss an die Chronologie übergeordnete Themen aufgreift und vertieft. Die vielen kleinen Episoden, die das große Bild ausmachen, sind weniger für eine durchgehende Lektüre geeignet, sondern eher zum immer wieder durchblättern und sich irgendwo festlesen. Zumal der Leser immer wieder eine (Erholungs-)Pause braucht, um das Gelesene zu verarbeiten.

 

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Vom Konzentrationslager bis zur Gedenkstätte

Gedenkstein für Carl von Ossietzky auf dem Zentralen Lagerfriedhof der Emslandlager. Foto: Petra Grünendahl.
Zu den prominentesten „Schutzhäftlingen“ zählten zum Beispiel Friedrich „Fritz“ Ebert Junior (1894–1979, Sohn des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik), oder Ernst Heilmann (1881–1940), Vorsitzender der preußischen Landtagsfraktion der SPD und Abgeordneter des Reichstages, sowie in Esterwegen Carl von Ossietzky (1889–1938, Friedensnobelpreis 1936), für den auf dem Zentralen Lagerfriedhof der emsländischen Konzentrations- und Strafgefangenenlager ein Gedenkstein steht. Sie alle mussten nicht nur schwerste körperliche Arbeit verrichten, sondern wurden darüber hinaus von den Wachmannschaften zu deren purem Vergnügen gedemütigt und aufs brutalste gequält und misshandelt. Ein Zeitzeuge berichtet, er habe im Dritten Reich miterleben müssen, wie „aus normalen Leuten gefährliche Menschen wurden.“ Mescher gibt auch interessante Einblicke in Biografien von Tätern: Denen vor Ort und denen an den Schreibtischen von Behörden im Dritten Reich.

 

Das Lager in Esterwegen (Luftbild). Foto: Petra Grünendahl.
Als Lager I war Börgermoor schon 1933 errichtet worden: Eines der ersten neu gebauten staatlichen Konzentrationslager überhaupt und das Erste der Emslandlager. Es folgten Esterwegen (dort gibt es heute eine Gedenkstätte) und Neusustrum. Später nutzen die Nationalsozialisten Börgermoor als Straflager u. a. auch für Verurteilte der Wehrmachtsjustiz (wie z. B. Deserteure). Das Lager wurde nach 1945 zunächst als Flüchtlingslager genutzt, dann bis 1969 als „Außenstelle Börgermoor“ der Strafanstalten Emsland (ab 1951 JVA Lingen). Das Gelände wurde 1970 eingeebnet.

 

Zentraler Lagerfriedhof der Emslandlager. Foto: Petra Grünendahl.
In der Nachkriegszeit seien die Geschehnisse innerhalb des Lagers verdrängt oder bewusst verleugnet worden, erzählt Ewald Mescher. Erst in den 1980er-Jahren begann langsam eine Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit: Engagierte Emsländer, Ostfriesen und Oldenburger gründeten 1981 das Aktionskomitee für ein Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ), das sich dem Gedenken, der Information und der Forschung widmeten. 2008 gründete der Landkreis Emsland die Stiftung Gedenkstätte Esterwegen: Es entstand schließlich die Gedenkstätte Esterwegen, die 2011 eröffnet wurde. Dort befindet sich heute auch das Dokumentations- und Informationszentrum Emslandlager (DIZ) . Ein Besuch der Gedenkstätte Esterwegen ist sehr empfehlenswert!

 

 
 
Exkurs: Die Emslandlager, Börgermoor und Esterwegen

Die Lage der Emslandlager nahe der holländischen Grenze. Foto: Petra Grünendahl.
Insgesamt 15 Konzentrations-, Straf- und Kriegsgefangenenlager richteten die Nationalsozialisten im Emsland ein. Zwölf davon liegen auf dem Gebiet des heutigen Landkreises Emsland, drei im Landkreis Grafschaft Bentheim.

 

Gedenkstätte Esterwegen. Foto: Petra Grünendahl.
Tausende von Menschen wurden in den Lagern gefangen gehalten, darunter zahlreiche politische Gefangene (so genannte „Schutzhäftlinge“), die den Nationalsozialisten bei der Durchsetzung ihrer Herrschaft im Wege waren. Der Aufbau der Emslandlager vollzog sich in drei Phasen, die sich zeitlich überschnitten:

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  • 1933-1936: Einrichtung und Bewachung von Konzentrationslagern durch die SS (Börgermoor, Neusustrum, Esterwegen)
  • 1934-1945: Strafvollzugslager unter Aufsicht der Justizverwaltung (Aschendorfermoor, Börgermoor, Rhede-Brual, Walchum, Neusustrum, Oberlangen, Esterwegen, Versen, Fullen)
  • 1939-1945: Kriegsgefangenenlager des Oberkommandos der Wehrmacht (Oberlangen, Wesuwe, Versen, Fullen, Groß Hesepe, Dalum, Wietmarschen, Bathorn, Alexisdorf)

 
Von den ehemaligen Emslandlagern ist heute kaum mehr etwas im Gelände zu sehen. An den Standorten der ehemaligen Lager geben heute Informationstafeln Auskunft über die jeweilige Lagergeschichte.
Quelle: www.gedenkstaette-esterwegen.de/geschichte/die-emslandlager

 

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Das Buch und der Autor Ewald Mescher

Liederblatt von Hanns Kralik, Häftling im KZ Börgermoor 1933–1934, am Erinnerungspunkt Lager I Börgermoor, Im Eichengrund in Surwold. Foto: Frank Vincentz (CC 3.0).
„Meine Generation weiß sehr wenig vom Lager I in der Zeit von 1933 bis 1945. Ebenso geht es unseren Kindern“, beschreibt Ewald Mescher (*1948) seine Motivation, dieses Buch zu schreiben. Gute acht Jahre Recherche steckte er in dieses Projekt mit vielen Originalquellen unter anderem von ehemaligen „Schutzhäftlingen“, ihren Angehörigen und Nachfahren. Der Autor hat die Quellen zusammen getragen, aufbereitet und kommentiert, um so die Geschichte des Ortes einem geschichtsinteressierten Leserkreis zugänglich zu machen. Publiziert wird das reich illustrierte 640-seitige Buch (Hardcover im Format 21 x 18 cm) im Selbstverlag. Bestellen kann man das Buch für 30 Euro (plus 9 Euro Versandkosten) über www.blumenvorderhoelle.de (ISBN 978-3-93772-73-6).

 
Das Buch ist herausgegeben vom Heimatverein Surwold e. V. Der Druck dieser Publikation in einer Auflage von 300 Exemplaren wurde gefördert durch die Gemeinde Surwold, die Samtgemeinde Nordhümmling, den Landkreis Emsland und durch die Emsländische Sparkassenstiftung, Das Gesamtprojekt mit seinen aufwändigen Recherchen unterstützt haben die Firmen Borchers Strassen- & Landschaftsbau GmbH und Husen Stahlbau GmbH & Co. KG.

 

Autor Ewald Mescher. Foto: privat.
Der Autor Ewald Mescher wurde 1948 im Surwolder Ortsteil Börgermoor geboren, wo sich seine Eltern auf von Häftlingen des Lager I kultiviertem Siedlungsland niedergelassen hatten. Als Kind kannte er „das Lager“ als Strafanstalt, bevor er als Jugendlicher wegzog: Vom heimatlichen Emsland ins Internat der Hiltruper Missionare im Sauerland und schließlich an ein Düsseldorfer Gymnasium. Es folgten Studienzeiten an der Kunstakademie Düsseldorf, fünf Monate bei der Bundeswehr, dreizehn Monate Zivildienst – inklusive Ausbildung zum Krankenpflegehelfer. Nach seinem Studium der Sozialpädagogik in Freiburg i. Br., das er mit Diplom abschloss, wurde er in Mannheim als Sekretär der Christlichen Arbeiterjugend (CAJ} in der Erzdiözese Freiburg angestellt.

 
Aus familiären Gründen zog er 1981 zurück nach Börgermoor und arbeitete viele Jahre als Bildungsreferent in der Diözese Osnabrück, vorwiegend für die Aus- und Weiterbildung von Gruppenleitern und für kulturelle Großveranstaltungen für Jugendliche und junge Erwachsene. Ein nebenberufliches Zweitstudium in Oldenburg schloss er als Diplom-Pädagoge ab. Privat engagiert er sich ehrenamtlich auf vielfältige Weise. Ewald Mescher ist seit 1972 verheiratet und hat acht Enkelkinder in Köln, Osnabrück und Hamburg. Seit seinem Ruhestand forscht er zur Geschichte seines Heimatdorfes und recherchierte mehrere Jahre für das vorliegende Buch.

 
© 2024 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl (8), privat (Autorenfoto), Frank Vincentz (CC 3.0, Moorsoldatenlied), Bjearn Rausch (Cover)

 

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