Druck von außen zu groß für das, was rein gingVon Petra Grünendahl
„Wir hatten schon früh um 11 Uhr einen großen Andrang an Besuchern, aber der Einlass Richtung Veranstaltungsgelände verzögerte sich um über eine Stunde“, erzählte der Zeuge. Der heute 58-Jährige arbeitete damals nebenberuflich für einen Sicherheitsdienst, der – neben anderen Sicherheitsdiensten – für Zugangssicherung bei der Loveparade in Duisburg beauftragt worden war. Eine Einweisung für seine Tätigkeit habe er damals nur an jenem Samstagmorgen von seinem Chef bekommen. Im Vorfeld habe kein Gespräch mit den rund 20 Mitarbeitern dieses Security-Unternehmens gegeben, die für die Sicherheit an den Vereinzelungsanlagen auf der Karl-Lehr-Straße im Osten und im Westen zuständig waren, erzählte der Zeuge. Ihm hätten auf der Westseite (Richtung Düsseldorfer Straße) als Bereichsleiter fünf Kollegen unterstanden. Sein Einsatzbereich reichte von der Autobahnbrücke (was allgemein als Zugang zum Tunnel bezeichnet wird) bis zu den Gittern an der Einmündung Düsseldorfer Straße, die dort die Besucherströme vor den Vereinzelungsanlagen kanalisierten. „Als der Druck immer größer wurde, konnten wir die Leute nicht mehr zurückhalten. Wir haben dann auf Anweisung der Polizei die Gitter aufgemacht, um Druck darauf abzubauen“, erinnerte sich der der 58-Jährige.
Als Zeugen hatte die 6. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg den Mitarbeiter einer Security-Firma geladen, der damals auch zur fraglichen Zeit der Katastrophe als Ordner im Eingangsbereich rund um die Vereinzelungsanlage West im Einsatz war. Vor dem Landgericht Duisburg wird gegen drei Angeklagte wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen und fahrlässiger Körperverletzung verhandelt: Sie waren damals als Mitarbeiter der Lopavent GmbH an den Planungen des Events beteiligt. Der Vorsitzende Richter Mario Plein ließ den Zeugen zunächst erzählen, welche Rolle er im Planungs- und Genehmigungsverfahren spielte, bevor er ihm aus seinen eigenen Aussagen und Kameraaufzeichnungen von seinem Einsatzort Sachverhalte vor hielt.
Schleusen längst offen, als Gitter geöffnet wurden
Bei seiner Befragung stützte sich Richter Plein auf eine Aussage, die der Zeuge im August 2010 gemacht hatte. Unter anderem versuchte er, anhand von Videoaufzeichnungen einer Kamera an der Ecke Düsseldorfer Straße / Karl-Lehr-Straße die Ereignisse zwischen 16.15 Uhr und 16.45 Uhr am Unglückstag zu beleuchten. Zäune kanalisierten die von der Düsseldorfer Straße aus einströmenden Zuschauer in Richtung Vereinzelungsanlagen, wo sie kontrolliert [Anmerkung: Taschenkontrollen, mitgeführte Glasflaschen] und einzeln durchgelassen wurden. Als die Zäune gegen 16.35 Uhr für gute fünf Minuten komplett aufgemacht wurden, waren die Schleusen längst offen: Sie standen zwar noch da und mit Ordnern besetzt, aber es fanden keine Kontrollen mehr statt. „Es war ohnehin schwierig zu kontrollieren, da der Andrang vor den Schleusen immens war: Was vor den Schleusen ankam, konnte hinten im nötigen Tempo gar nicht abfließen.“ Wegen der Aufgabe der Vereinzelungsanlagen ergoss sich nach Öffnen der Zäune der Besucherstrom ungehindert Richtung Tunnel und dann dort hinein, wo es nicht allzu viel später zur Katastrophe kommen sollte. Die Mitarbeiter seiner Firma hätten sich nach Feierabend (gegen 21 Uhr wurden sie nach Hause geschickt) von Ost und West kommend am Container des Crowd Managers getroffen: „Wir haben da noch geholfen, die Toten abzudecken. Den Anblick vergisst man nicht!“
© 2020 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Petra Grünendahl (3), Lars Heidrich / Funke Foto Services (1)
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