Von der „Pflicht, gegen diesen Wahnsinn zu kämpfen“
Von Petra Grünendahl
August 2007 in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs: Die Leichen der unbewaffneten Männer sind von Dutzenden Kugeln durchsiebt. Eine regelrechte Hinrichtung: Von den Tätern fehlt jede Spur. „Ein sechsfacher Mord vor einem italienischen Restaurant? Das ist mehr als nur ein normales Gewaltverbrechen“, war sich eine in Deutschland lebende Italienerin sofort sicher. Ein solches Massaker – verübt im Ausland – hatte es zuvor noch nie gegeben: „Wir mussten uns mit der schrecklichen Erkenntnis auseinander setzen, dass hier im Herzen Europas das organisierte Verbrechen fest verankert ist“, so die Frau, die den Kampf gegen die Mafia bis in den italienischen Senat in Rom trug. „Nicht nur die legale Wirtschaft profitiert von der Globalisierung, auch die Mafien nutzen die internationalen Märkte für sich“, stellt eine Staatsanwältin fest. Eine Bürgermeisterin ist in ihrem Ort zur unerwünschten Person geworden, weil sie die Mafia bekämpft. Beliebt in ihrem Umfeld macht sich keine der Frauen in ihrem Kampf gegen die Mafia. Weil sie versuchen den Teufelskreis aus Gewalt und Omertà, dem Gesetz des Wegschauens und Schweigens, zu durchbrechen. „Die Mafia ist präsenter denn je. Sie hat in alle Gesellschaftsschichten Einzug gehalten“, bilanziert eine Fotografin.
Die Autorin Mathilde Schwabeneder hat sie für ihr Buch „Sie packen aus“ interviewt: Zehn Frauen unterschiedlichster Herkunft schildern ihren Kampf gegen die Mafia. Vielfältig sind ihre Lebensgeschichten. Auch für Außenstehenden spannend sind ihre mitunter tiefen Einblicke in das organisierte Verbrechen und die Strukturen der Mafia, die schon lange nicht mehr nur auf Italien beschränkt ist. Vor einigen Jahren trugen Familien der `Ndrangheta ihre Fehde in Duisburg aus: Vor dem Da Bruno im Silberpalais in Neudorf richteten Killer eines Clans Mitglieder einer verfeindeten Familie hin. Mafia, Cosa Nostra (Sizilien), `Ndrangheta (Kalabrien) oder Camorra (Neapel) sind alles Namen für das Phänomen krimineller italienischer Familienclans, die heute in vielfältigen „geschäftlichen“ Verbindungen zu ähnlichen Gruppierungen in aller Welt stehen. Schutzgeldzahlungen, Drogen- und Waffenhandel, Geldwäsche und Glücksspiel, Wirtschaftskriminalität sowie Menschenhandel und Prostitution: Überall haben mafiöse Strukturen ihre Finger drin.
Ein gefährliches Pflaster
Der Kampf gegen diese organisierte Kriminalität wird aber nirgends so intensiv geführt wie in Italien. Waren früher die beherrschenden Figuren des Anti-Mafia-Kampfes Männer wie die 1992 ermordeten Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino, so haben seit einigen Jahren auch Frauen an vorderster Front den Kampf aufgenommen: Juristinnen, Politikerinnen, Journalistinnen und andere, die teilweise zunächst eingebunden in die Mafia-Familien irgendwann ausbrechen und die Fronten wechseln. Sie alle tun dies unter großer Gefahr für ihr Leben, zählen die Mafia-Organisationen doch zu den gefährlichsten der Welt.
Die Zeitzeuginnen, deren Geschichten die Autorin Schwabeneder aufgezeichnet hat, sind alle Italienerinnen, was aber ihre Geschichten auch für Deutsche (und Duisburger) nicht weniger spannend macht: Sie beleuchten das Geschehen weltweit und auch, was in Duisburg vorgefallen ist. Die Frauen selber sehen sich nicht als Heldinnen. Mathilde Schwabeneder schreibt zurückhaltend, ohne Effekthascherei, was den Lebenswegen der Frauen und ihren Persönlichkeiten sehr angemessen ist. Denn für sie alle steht ihr Kampf gegen die Mafia im Vordergrund, nicht ihre Person!
Die Mafia als Teufelskreis
Ihren Ursprung hat die Mafia in Süditalien, einem Landstrich, der vom Wohlstand einer Industrienation bis heute abgeschnitten ist. Gründe für die Rückständigkeit des Südens sind neben der Randlage in Europa die verbreitete Armut, unzureichende Bildungsmöglichkeiten, eine agrarisch geprägte Wirtschaft und die organisierte Kriminalität. Wer nicht flieht aus dieser Aussichtslosigkeit, sucht sein Heil in den Verheißungen der Mafia-Clans auf schnelles Geld. Man müsse den Kindern vermitteln, dass es eine andere Welt sowie Auswege aus dem Elend gibt, so eine Polizei-Juristin. Der Mafia kommen die unzureichenden Angebote von Bildung und Ausbildung sehr zu gute. „Da habe ich verstanden“, so eine Anwältin, „warum der Mafia die Schule nicht gefällt: Weil man mit der Schule eine andere Kultur schaffen kann.“
Ein Teufelskreis: Denn damit, sich der Mafia anzudienen, geraten Menschen in Abhängigkeiten für sich und ihre Familien, denen nur schwer zu entkommen ist. Das schildern auch die Zeitzeuginnen ganz eindringlich. Dieses Buch legt Zeugnisse ab, die zuweilen erschüttern: Von Frauen, die mit ihrem Handeln einen Unterschied machen!
Die Autorin und das Buch
Mathilde Schwabeneder-Hain ist eine österreichische Journalistin. Das fällt im Buch besonders auf, wo sie Begriffe aus dem österreichischen Deutschen verwendet: Matura (Abitur) oder Jus (für das Studienfach Jura), was aber den Leser nicht stören sollte. Mit ihrem Bestseller „Patinnen“ (2014) beschäftigte sie sich erstmals mit Frauen in der Mafia. Von dort war es dann nur noch ein kleiner Schritt, auch die Frauen im Kampf gegen die Mafia packenden Reportagen darzustellen. Das 190-seitige Hardcover-Buch ist erscheinen im österreichischen Molden Verlag, der zur Verlagsgruppe Styria gehört. Für 23,00 Euro ist es im lokalen Buchhandel erhältlich (ISBN 978-3-222-15056-2). E-Book-Versionen gibt es für 18,99 Euro (für Kindle und als Epub).
© 2020 Petra Grünendahl (Text)
Fotos: Harald Eisenberger (Autorin), WAZ (Artikel-Screenshot), Polizei NRW (Fahndungsplakat), Karte (Daygum / Wikipedia), Molden Verlag (Titelbild)
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