Warum die Altschuldenlösung alleine nicht ausreichtVon Petra Grünendahl
Die Landesregierung in Nordrhein-Westfalen hat angekündigt, die Altschulden hoch verschuldeter Städte in ihren Haushalt übernehmen zu wollen. Dies scheint auf den ersten Blick ein erster Schritt in Richtung einer Altschulden-Lösung zu sein. Leider, so bemängelt Duisburgs Stadtkämmerer Martin Murrack, sei dies nicht der Fall: „Es werden keine zusätzlichen Gelder bereit gestellt – mit der Folge: Das Geld wird an anderer Stelle fehlen.“ Ein genauerer Blick auf das neue Gemeindefinanzierungsgesetz 2024 zeigt also: Eine Mogelpackung! Über den Stärkungspakt Stadtfinanzen des Landes NRW und enorme eigene Anstrengungen – Ausgabensenkungen sowie eine Erhöhung von Gebühren und Einnahmen – hatten überschuldete Kommunen innerhalb eines Jahrzehnts zumindest ihren laufenden Haushalt ausgeglichen und in einem begrenzten Rahmen finanzielle Gestaltungsmöglichkeiten zurück bekommen. Es drücken aber immer noch die Lasten der Vergangenheit: Die Altschulden, deren Abbau aus eigener Kraft nicht zu schaffen ist.
Auch die Stadt Duisburg ist – wie viele Städte des Ruhrgebiets – hoch verschuldet. Als verschuldet gilt eine Kommune ab mehr als 100 Euro Verschuldung pro Einwohner. In Duisburg und im Revier ist es ein Mehrfaches davon. Allein in NRW ist das in 199 von 429 Kommunen der Fall. Eine Altschuldenlösung würde alleine für die Städte und Gemeinden in NRW eine Übernahme von 19,7 Mrd. Euro durch Land und Bund umfassen. Diese Schulden sind nicht aufgrund von Misswirtschaft oder überzogenen Ausgaben entstanden, sondern primär durch die Tatsache, dass für die originären Aufgaben und Pflichten einer Kommune seit längerem die nötigen Einnahmen fehlen. Erschwerend kam hinzu, dass Bund und Länder seit Jahrzehnten immer wieder Verpflichtungen und Aufgaben an die Städte und Gemeinden runtergereicht haben, ohne die hierfür anfallenden Kosten auskömmlich gegenzufinanzieren. Nicht jede Kommune konnte dies bewältigen: Am allerwenigsten die Städte und Gemeinden im Ruhrgebiet, denen die Einnahmen weg gebrochen waren.
Industrie im Ruhrgebiet war einmal der Wirtschaftsmotor Deutschlands
Das Ruhrgebiet war früher reich – und auch die arbeitende Bevölkerung hatte etwas davon. Im Wirtschaftswunderland der Nachkriegszeit sorgten Bergbau und Industrie für Arbeit, die schwer, aber über viele Jahrzehnte – auch dank starker Gewerkschaften – gut bezahlt war. Steuereinnahmen sprudelten: Das Land NRW war größtes Geberland im Länderfinanzausgleich. Aber das war einmal! Als Folge des andauernden Strukturwandels mit Kohle- und Stahlkrisen fielen viele dieser gut bezahlten Arbeitsplätze weg. Die Arbeitslosigkeit stieg ebenso wie in den letzten fast 20 Jahren der Niedriglohnsektor: Stadtteile und Städte verarmten. Der Strukturwandel und die Aushöhlung des Sozialstaats, von der insbesondere der Niedriglohnsektor profitierte, führten zu sinkenden Steuereinnahmen der Kommunen, die deren finanzielle Möglichkeiten einschränkten. Die Pflichtaufgaben jedoch blieben.
Einwohner, die es sich leisten konnten, zogen weg: In den Speckgürtel und ins Umland der immer weniger attraktiven Industriestädte, die gegen immer größere Problemen mit immer weniger Geld ankämpften. Mit dem Wegzug von Besserverdienern schwand auch Kaufkraft, was wiederum den Handel und Dienstleister vor Probleme stellte: Zumindest bei inhabergeführten Geschäften machte sich dies auch bei der Gewerbesteuer und damit in der Stadtkasse bemerkbar. Sinkenden Einnahmen standen steigende Ausgaben gegenüber: Nicht nur steigende Sozialausgaben schlugen hier zu Buche, sondern auch eine Aufgabenverschiebung von Bund und Land auf die Kommunen (und damit einhergehende Kosten), die über Jahrzehnte nicht gegenfinanziert waren. Damit konnten die Städte aber nicht wirtschaften und mussten sich verschulden, was schließlich ihre Handlungsfähigkeit in Zeiten der Haushaltssicherung massiv einschränkte. Großzügige Förderprogramme der letzten Jahre von Land, Bund und EU konnten gerade die „armen“ Städte nicht nutzen, obwohl sie es am nötigsten gehabt hätten: Ihnen fehlte das Geld für den unvermeidlichen Eigenanteil, der zumeist nur einen Bruchteil der Fördergelder ausgemacht hätte.
Gemeindefinanzierung als Wurzel des Problems
Ihre Einnahmen können Städte und Gemeinden nicht mal eben nach Bedarf steigern. Zuweisungen von Land und Bund sind gesetzlich festgelegt. Eigene Stellschrauben zur Steigerung ihrer Einnahmen haben die Kommunen neben einer Erhöhung von Gebühren im Wesentlichen nur zwei, die wirklich Geld einbringen: Die Grundsteuer und vor allem die Gewerbesteuer. Die Grundsteuer zahlen alle, die in der Stadt eine Immobilie besitzen oder mieten (über die Nebenkostenabrechnung). Hier stellen sich Städte mit hoher Grundsteuerbelastung schlechter als Nachbarstädte mit vergleichbarem Preisniveau für Miete und Kauf. Besonders nachteilig kann aber die Gewerbesteuer werden, erschwert sie doch die Neuansiedlung von Unternehmen, die zusätzliche Arbeitsplätze in die Stadt bringen können, oder gibt manch einem Unternehmer einen Grund, seinen Betrieb in eine andere Gemeinde zu verlagern. Ein Anstieg der Hebesätze tut zwar erst einmal den Einnahmen gut, ist aber längerfristig eher nachteilig für die wirtschaftliche Entwicklung der Kommunen.
Wo die Stadt Gelder und Leistungen sparen muss, kann sie Bürgern weniger bieten. Und wo sich Unternehmen zurückziehen, gehen nicht nur Arbeitsplätze, sondern häufig auch Handel und Dienstleistungsangebote verloren. Die Attraktivität der Städte sinkt: Eine Spirale nach unten. Wer es sich leisten kann, zieht in den Speckgürtel und ins Umland, wo auch die Grundsteuer niedriger ist. Andererseits nutzen die Abgewanderten aber gerne die Angebote „in der Stadt“, die allerdings hier weniger werden. Und dann geht man halt woandershin in die Stadt.
Der Sparzwang macht die verschuldeten Städte unattraktiver. Leute von außerhalb kommen seltener, geben in der Stadt weniger Geld aus. Noch mehr der Besserverdienenden wollen zumindest zum Wohnen raus aus der Stadt. Mit 6-Seen-Wedau und Am Alten Angerbogen versucht die Stadt Duisburg hier mittlerweile gegenzusteuern: Höherwertiger Wohnraum hält Duisburger und lockt sogar Auswärtige in die Stadt. Das zwar ein Anfang, auch nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein.
Neben der Gewerbesteuer kommt nämlich ein sehr erheblicher Teil der Stadtfinanzen aus der Lohn- und Einkommensteuer sowie der Kapitalertragsteuer der eigenen Bürger. Und das ist die Stellschraube, an der keine Stadt oder Gemeinde drehen kann. Und sie ist einer der Hauptgründe, warum Städte mit einkommensschwacher Bevölkerung wie Duisburg und viele andere Städten im Ruhrgebiet finanziell so schlecht da stehen, denn „arme“ Städte erhalten „pro Kopf“ weniger Geld als Kommunen mit einkommensstarker Bevölkerung. Das ermöglichte zum Beispiel Städten wie Monheim im Speckgürtel von Düsseldorf mit etwas über 40.000 Einwohnern, 2012 die Gewerbesteuer auf den niedrigsten Satz in NRW zu senken: Mit der Folge, dass sich in der Folge zahlreiche Unternehmen mit ihrem Firmensitz dort ansiedelten und der Gewerbesteuer-Ertrag zunächst stark anstieg. Das ging und geht woanders nicht: Die niedrigen Einnahmen der Kämmerer aus der Einkommensteuer ist eine Spirale nach unten, denn je mehr „arme“ Städte an Attraktivität verlieren, umso schwieriger ist dieser Trend wieder umzukehren und einkommensstärkere Einwohner zu halten oder gar zurückzugewinnen.
Fazit: Altschuldenregelung alleine reicht nicht als Lösung
Die Altschuldenregelung ist nötig und sie ist überfällig, da gerade Bund und Länder die Kommunen lange Zeit ins offene Messer der Verschuldung haben laufen lassen. Sie reicht aber lange nicht aus. Der Stärkungspakt Stadtfinanzen der damaligen SPD-/Grünen-Landesregierung war ein guter Anfang, der zumindest Städten half, in einem gewissen Rahmen ihre finanzielle Selbstbestimmung zurück zu bekommen. Was blieb, waren allerdings die alten Verbindlichkeiten, die auch mit der damaligen Unterstützung aus Düsseldorf nicht abgebaut werden konnten. Verbunden wird die Altschuldenregelung immer gerne mit der Forderung, die Städte dürften sich dann aber nicht neu verschulden. Das setzt aber eine zukunftsfähige Lösung voraus, für die ein Erlass der Altschulden bestenfalls ein erster Schritt sein kann.
Hier ist eine nachhaltige Lösung gefordert, um die Finanzierung der Kommunen, die der wichtigste Baustein für unsere Gesellschaft und ihre Bürger sind, endlich auf solide Beine zu stellen. Das heißt: Für eine auskömmliche Finanzierung zu sorgen! Die können Bund und Länder unter anderem auch damit sicherstellen, dass Finanzmittel „pro Einwohner“ zur Verfügung gestellt werden: Damit gleichen sich die Möglichkeiten von Kommunen mit Gutverdienern und Einkommensschwachen an. Außerdem sollten Bund und Länder dafür sorgen, dass Maßnahmen und damit Kosten, die sie auf die Kommunen abwälzen, auch entsprechend finanziert werden. Denn wer die Musik bestellt, sollte sie auch bezahlen!
© 2023 Petra Grünendahl (Text und Fotos)
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